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Seit gut eineinhalb Wochen  ist „Inception“ nun in Deutschland angelaufen und sorgt auch hierzulande für brechend volle Kinosäle. Dem Regisseur von Inception, Christopher Nolan, kann man wohl ruhigen Gewissens  eine Ausnahmestellung im Holywood von heute attestieren: Kein anderer Regisseur schafft es zurzeit so mühelos zwei Welten zu bedienen.

Auf der einen Seite lassen seine Filme regelmäßig die Kasse klingeln: „The Dark Knight“ von 2008 schaffte es gar auf Platz sechs der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Und auf der anderen Seite lassen sich die Kritiker zu wahren Jubelstürmen hinreißen, angesichts von Nolans vielschichtigem, intelligentem Unterhaltungskino. Grund genug, sich einmal genauer mit ihm und seinem Wirken zu beschäftigen.

Christopher Nolan ist einer jener Autodidakten, die schon als Vorpubertäre mit Video 8 und Action-Figuren an ihrer späteren Karriere feilten. Eine Filmschule hat er nie von innen gesehen, stattdessen studierte er englische Literatur an der Londoner Universität. Dort drehte er regelmäßig Kurzfilme mit der College Film Society. In diesem Umfeld realisierte er 1998 dann seinen ersten Langfilm, „Following“: Ein Neo-Noir-Thriller um einen erfolglosen Schriftsteller, der aufs Geratewohl Fremden hinterläuft und sich damit in große Schwierigkeiten bringt. Schon bei diesem Erstling bediente sich Nolan der nichtchronologischen Erzählweise, die zu seinem Trademark werden sollte. Entstanden an Wochenenden und mit Hilfe von Freunden, kostete die Produktion gerade einmal 6.000 Dollar. Eine gute Investition, denn bei seiner Premiere beim San Francisco Film Festival konnte der Film genug Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass Nolan sein nächstes Script finanzieren konnte: den von einer Kurzgeschichte seines Bruder Jonathan Nolan inspirierten „Memento“.

Die Rache-Story dreht sich um den ehemaligen Versicherungsangestellten Leonard, der sich trotz eines Hirnschadens, der ihn alles nach fünf Minuten wieder vergessen lässt, auf die Jagd nach dem Mörder seiner Frau macht. Der Clou dabei: der Film war chronologisch rückwärts geschnitten. Der Anfang des Films war das Ende der Geschichte, und umgekehrt. Diese neuartige Erzählweise war ungewohnt und erforderte viel Aufmerksamkeit, versetzte den Zuschauer allerdings auf kongeniale Weise in Leonards zersplitterte Sicht der Dinge, in der die Welt alle paar Minuten neu entsteht.

Dieser Film war Nolans Eintrittskarte in den Hollywood-Zirkus. Als Bewährungsprobe durfte er das Remake des norwegischen Polarkreis-Krimis „Insomnia“ beaufsichtigen, bei dem er mit Al Pacino arbeitete und Robin Williams in einer seiner seltenen Fiesling-Rollen glänzen ließ.

Seinen kommerziellen Durchbruch erzielte er im Anschluss mit dem Neustart der Batman-Reihe „Batman begins“, der  sich durch einen realistischeren und düstereren Ansatz von den poppigbunten Batman-Filmen der Neunziger abhob. Durch den großen Erfolg wurde bald der Ruf nach einer Fortsetzung laut. Doch Nolan wandte sich zunächst wieder einem anderen Projekt zu: „The Prestige“ erzählt die Geschichte zweier Bühnenmagier im 19. Jhr., deren berufliche Rivalität sich schnell zu hasserfüllter Feindschaft auswächst. Ihrem Jahrzehnte währendem Kampf fällt schließlich alles zum Opfer, was sie lieben. Wieder konstruiert Nolan ein verschachteltes Gebäude aus Erzähl- und Zeitebenen,  das mindestens so viele doppelte Böden und Falltüren aufwies, wie auf der Bühne zum Einsatz kamen.

Sein nächster Film sollte auch sein bisher größter Erfolg werden: „The Dark Knight“, der zweite Film seiner Batman-Reihe. Krankte „Batman begins“ noch an dem Fehlen eines starken Bösewichts, bekam Batman nun einen Joker gegenübergestellt, der von Heath Ledger mit geradezu dämonischer Intensität gespielt wurde. Diese Darbietung sollte einen tiefen Abdruck in der Popkultur hinterlassen und dem kurz zuvor verstorbenen Schauspieler posthum einen Oskar bescheren.

Das markanteste Merkmal an Nolans Arbeitsweise ist sicher die Verwendung nichtlinearer Erzähltechniken.  Nicht nur „Memento“, auch „Following“ und „The Prestige“ weisen eine komplexe Struktur von Flashbacks, Twists und Turns auf, die die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers erfordern. Was jedoch zunächst wie ein manieristisches Gimmick klingt, macht durch die erzählten Geschichten mehr als Sinn. Die konsequente Rückwärts-Erzählung in Memento machte Leonards Verlorenheit erfahrbar, die ständigen Zeit- und Perspektivenwechsel in „The Prestige“ spiegeln das Katz-und-Maus-Spiel der beiden Protagonisten wieder, für die Tricks und Täuschung zur Profession gehören. Form und Inhalt gehen in Nolans Filmen so weit wie möglich eine Einheit ein.

In den Geschichten die Nolan erzählt, stehen für gewöhnlich seelisch schwer versehrte Männer, die mit ihrer tragischen Vergangenheit hadern. Dies äußert sich oft in geistigen oder körperlichen Defekten: Leonards Gedächtnisstörung, die Schlaflosigkeit von Pacinos Detective in Insomnia oder den Verstümmelungen, die sich die beiden Zauberer während ihrer Fehde zufügen. Um der Vergangenheit zu entkommen flüchten sich die Protagonisten zum Ausgleich in ihre Obsessionen, die meist darauf abzielen, Gerechtigkeit für erfahrenes Unrecht zu erlangen. Dabei verlieren sie jedoch alles andere aus den Augen und verlieren das, was ihnen noch geblieben ist. Wie z.B. der Verlust der Geliebten, der als Motiv in fast allen Filmen zu finden ist. Anstatt die Kontrolle über ihr Leben wieder zu erlangen, entgleitet es ihnen immer mehr.  Nolans Filme erzählen auch immer vom Verlust von Kontrolle. Die Angst davor ist etwas, was Christopher Nolan nach eigener Aussage auch im realen Leben umtreibt.

Nicht nur die Realität scheint sich gegen Nolans „Helden“ verschworen zu haben. Im Grunde können sie nicht einmal sich selbst trauen, denn ihre persönlichen Sicherheiten stellen sich nicht selten als Lügen heraus. Leonards Rachefeldzug wird zum Selbstzweck, da er keinen anderen Lebenssinn mehr hat, und einer der beiden Zauberer scheitert an seiner Weigerung, die einfachste Lösung als die wahrscheinlichste anzuerkennen. Hierin zeigt sich auch eine Interpretation von Realität, die Erzähltechniken und Motive miteinander verbindet: Realität als undurchsichtiges Gefüge ohne objektive Wahrheit, ein flexibles Netz, das sich für jeden anders darstellt. Ein weites Feld dieses Thema, mit noch vielen unerforschten Ecken, aus denen Nolan bestimmt noch die eine oder andere Inspiration ziehen kann.