Die Tendenz bei Panini und seinen Superheldencomics geht eindeutig in Richtung Buch. Man bekommt fast gar nicht mehr dünne Comichefte, wenn schon Hefte, dann mit mehreren Geschichten hintereinander. Das aktuelle Batmanheft hat 52 Seiten, das X-Men-Heft 100 Seiten Umfang.
Die Regel sind immer mehr dicke Schwarten, die komplette Miniserien oder Zyklen beinhalten – so haben sie alle einen Rücken wie ein Buch, sodass sie sich ganz gut im Bücherregal machen. Es gibt inzwischen viele erwachsene Comic-Interessierte, die sich ihre „Massen-Zeichenware“ ins Regal stellen wollen. Die haben das nötige „Kleingeld“ – und die passenden Bücherregale. Manche Werke gibt es als Softcover, mit Klebebindung, oder als Hardcover, mit festen Umschlag wie ein klassisches Buch, manchmal auch beides zugleich.
Comics: Gut produziert und ohne Werbung – aber teuer
Druckqualität und Ausstattung der Comics sind hervorragend, dafür zahlt man aber auch einen hohen Preis. Mal kurz ein Comicheftchen „holen“, gehört für viele schon fast der Vergangenheit an. Dafür kann man, um den Kauf solide vorzubereiten und seine Investition von zwischen zwölf, zwanzig oder mehr Euro vorzubereiten, im Internet öfters mal ein paar Seiten probelesen. Die Frage ist, wer kann sich ein einfaches Comicvergnügen leisten? Durch den höheren Umfang und damit einhergehend die höheren Kosten, sind manche Comicfans ausgeschlossen.
Batwoman von Greg Rucka und J. H. Williams III.
Vor mir auf dem Küchentisch liegt zum Beispiel der 164-seitige Comicband „Batwoman: Das Klagelied der Fledermaus“, geschrieben von Greg Rucka und in allen erdenklichen Stilen gezeichnet von J. H. Williams III., den ich beim letzten Mal angekündigt hatte. Jede der Geschichten ist in einem vollständig anderen Stil gezeichnet, mal grob und per Pinsel getuscht wie von David Mazzucchelli in dem von Frank Miller getexteten Batman-Band „Year One“, mal filigran-detailliert wie Geoff Darrow. Der Mann ist ein Könner, den Band möchte ich noch einmal empfehlen. Ein derartig ambitioniertes grafisches Konzept findet man selten innerhalb eines Comicbandes.
Locker-leicht: Zeichen-Talent Daniel Acuna
Bereits m Juni war das Comicheft „X-Men und die Dark Avengers: Utopia – das Finale“ (Nr. 113) erschienen. Die letzte von Mike Carey getextete Story im Heft ist von Daniel Acuna gezeichnet. Er hat einen relativ groben Strich, der retromäßig daherkommt und zum Beispiel an die alten „Dan Dare“-Sachen erinnert. Im Juli ist dann das aktuelle Heft (Nr. 114) erschienen. Titel: „Nation X“ (Der Start der neuen X-Men-Saga „Dark X-Men“). Hier zeichnet Daniel Acuna die ersten zwei erfrischend und locker mit einer ganz guten, simplen Strichführung. Skurile Motive, kreativ in der Formensprache, aufwendige Farben und das mit sehr wenig Strichen umgesetzt. Acuna überläßt der Farbgebung die Wirkung. Da geht sicherlich noch mehr. Abwarten, was der Zeichner zukünftig bringt. Das Heft ist noch lohnenswerter als das vorherige.
Einschub: Nicht alle Comic-Schöpfer sind Geistesgrößen.
Und deshalb sind die Comics so wie sie eben sind. Doug Mahnke, der aktuelle Green-Lantern-Zeichner, erklärt in diesem Video worauf es bei Superhelden-Comics ankommt: Weiber, Helden, Monster:
„Green Lantern“ mit neuer Konzeption
Superhelden-Comics kommen traditionell etwas plump daher: Indiskutable Storys, dümmliche Charaktere, selbst wenn’s für die Macher gut läuft, sind die Storys zumindest vorhersehbar. Nur ganz selten im Superhelden-Universum ist das mal anders. Andererseits gibt es ein paar Serien, die völlig abgedreht waren oder sind. Marvels „Dr. Strange“ („Dr. Seltsam“) gehörte dazu oder „Swamp Thing“ („Das Ding aus dem Sumpf“). Während Dr. Strange in z. T. seltsame Welten entführte, in den Bereich von Mystik und Meta-Physik, ging’s bei „Swampthing“ um Konkreteres wie zum Beispiel Ökologie. Doch das sind Ausnahmen. Der klassische Superheld ist stark oder schnell oder hat Eigenschaften, die aus ihm selbst kamen wie Gedankenlesen, unsichtbar machen oder Telekinese. Schon seltener waren Superhelden, die relativ , menschliche Kräfte hatten und diese durch Übung bzw. technische Ausstattung erweiterten. Dazu gehören mehr oder weniger „Batman“, „Daredevil“, der zudem eine besondere Wahrnehmung hat – und „Green Lantern“, die mal in Deutschland „Grüne Laterne“ hieß. „Green Lantern“ hat einen Ring, den er am Finger trägt und der ihm im Zusammenhang mit einer „Laterne“ in die Lage versetzt, x-beliebige Dinge aus Energie zu erschaffen. Das Konzept von Green Lantern ist daher schon von der Anlage her ein besonderes. Der Held ist eigentlich ganz normal, nur sein Ring versetzt ihn in die Lage, Besonderes zu tun.
Neal Adams und die frühen Jahre von „Green Lantern“
Schon früh bezog die Comicheft-Serie politisch Stellung und prangerte soziale Mißstände an. Andererseits war die inhaltliche Konzeption sehr weit gefasst, oft Science Fiction in Reinkultur noch öfter ging es um andere Welten oder andere Dimensionen, da es ähnliche Superhelden wie auf der Erde auf vielen anderen Planeten gab. So wohnt der Serie eine Art Internationalismus im planetaren Maßstab inne. Hinzu kommt, dass die frühe „Green Lantern“ der 70er-Jahre legändär ist oder sogar Kultstatus inne hat, weil sie die Spielwiese von Über-Zeichner Neal Adams war, dem Begründer des zeichnerischen Realismus in den Superhelden-Comics, in dessen Tradition viele der heutigen Zeichner stehen. „Green Lantern“ bot auf dessem zeichnerischen Höhepunkt in ein paar Ausgaben die besten Arbeiten Adams‘.
Einschub: Wie sieht der Arbeitsalltag von Comiczeichnern aus?
Nachfolgend ein Film über den Arbeitsalltag von drei Comiczeichnern. Es gehört, wie man sieht, nicht nur zeichnen dazu sondern auch signieren:
Green Lantern: Abgedreht und abgespaced
Die aktuelle „Green Lantern“ knüpft nun an beste Traditionen an. Die Serie ist zur Zeit in ihrem „Blackest-Night“-Zyklus so ausgeflippt, dass es eine Freude ist. Zeichnerische Höhepunkte kreuzen sich mit sehr seltsamen Wesen und Geschichten. Die 100-Seiten-„Green Lantern: Blackest Night“ (Nr. 18) ist die aktuelle Ausgabe. Der erste Teil der Ausgabe ist getextet von Geoff Johns und gezeichnet von Doug Mahnke. Im zweiten Teil des Bandes hat Peter J. Tomasi getextet und Patrick Gleason gezeichnet. Beides ein Augenschmaus, wobei Doug Mahnke als Bleistift-Zeichner und Christian Alamy bereits in der letzten Story des Vorgängerbandes („Green Lantern vs Agent Orange, Prolog zur Blackest Night“, Nr.17 mit 124 Seiten) einen der Knaller des Jahres abgeliefert haben. Mahnke und Alamy haben schon bei der Miniserie „Black Adam“, der Wiederbelebung eines uralten Comichelden, zusammengearbeitet. Sie sind ein eingespieltes Team, das einen sehr klassisch gezeichneten Comic vorlegt und zeigen an manchen Stellen, dass sie auch ohne viel Text visuell sehr aussagekräftig sind. Die Tuscharbeit ist sehr fein ausgearbeitet und zeigt, dass Monster und dunkle Abgründe auch in sehr exakter Strichführung wiedergegeben werden können, ohne dass sie ihren Schrecken verlieren. Besser als in dieser Geschichte war das Team nie und wird es vielleicht auch nicht mehr sein. Am 31. August erscheint Band 19.
Nachfolgend zunächst eine von Doug Mahnke entworfene und vorgezeichnete Seite, in schwarz-weiß, damit man die Tuschearbeit von Christian Alamy besser sehen kann:
Nun zum Vergleich ein Cover, das von Doug Mahnke per Bleistift vorgezeichnet wurde. Es ist sicherlich als Demonstrationsobjekt seiner Zeichentechnik detaillierter als sonst besonders gut ausgeführt:
Darunter das getuschte und kolorierte Cover. Zu sehen auch hier die Präzision von Christian Alamys Tuscharbeit:
Tuscher, die zu exakt sind, rauben den Vorzeichnungen oft ihre Lebendigkeit. Es ist schwierig, eine Bleistiftzeichnung penibel zu tuschen, ohne dass ihre Dynamik erhalten bleibt. Oft bedarf es dafür eines eingespielten Teams, das wir hier in Form von Mahnke/Alamy vor uns haben. Übrigens teilt sich Alamy in „Green Lantern“ Nr. 18 die Tuschearbeit zu den Mahnke-Zeichungen mit zwei anderen Tuschern, was schade ist, da die Geschichte dadurch grafisch doch etwas auseinanderfällt. (In den Videos in diesem Artikel lernt man die Tuscher-Brotherhood besser kennen.)
Hört sich an wie eine Sensation: Milo Manara zeichnet die X-Men
Dass europäische Zeichner für Verlage über’m großen Teich zeichnen, ist nichts Besonderes mehr. Allerdings ist es immer noch ein Novum, dass große, etablierte Europäer Superhelden-Comics zeichnen. Die diesbezüglich größte Überraschung war die Silver-Surfer-Mini-Serie, die Moebius gezeichnet hatte. Allerdings war das zeichnerisch mäßig und nichts Besonderes, es wirkte wie ein Schnellschuß. Nun wird in Deutschland der X-Men-Band veröffentlicht, den der italienische Comiczeichnen-Star Milo Manara, der vor allem durch Soft-Porno-Comics bekannt geworden ist, als Kollaboration mit Marvel Ur-Gestein Chris Claremont gezeichnet hat. Sie haben den Band „X-Men – Frauen auf der Flucht“ erst in Italien veröffentlicht, ab 31. August ist er auf Deutsch erhältlich. Schon auf dem Titelblatt sehen zwei der vier Frauen aus, als hätten sie einen Orgasmus, obwohl sie nur rumstehen. Etwas peinlich. Das ist das Problem mit Milo Manara: Er hat teils interessante Themen und Storys gezeichnet, die er grundsätzlich mit billigem, klischeehaftem Sex anreichert. Je älter der Zeichner wurde, desto schlimmer wurde es mit ihm. Kein Wunder also, dass beim „X-Men“-Band vor allem die weiblichen Superheldinnen im Vordergrund stehen. Manara ist rein technisch einer der allerbesten Zeichner gewesen. Der X-Men-Band ist aber innerhalb seines Schaffens nichts Besonderes. Er ist nachlässig getuscht, nicht sehr liebevoll ausgearbeitet. Manara ist jetzt 65 Jahre alt, und man kann sicher nicht die zeichnerische Leidenschaft der frühen Werke erwarten.
Giuseppe Camuncoli’s Wolverine
Ende August erscheint „Wolverine“ Nr. 9, gezeichnet vom Italiener Giuseppe Camuncoli, der ein vielversprechender Zeichner ist. Leider kommt es nicht nur darauf an, ob ein Zeichner wirklich gut zeichnet, sondern auf vieles Andere: Zum Beispiel, ob er sich nicht verschleisst, was aber beim Fließband-Medium „Superhelden-Comic“ praktisch ein Ding der Unmöglichkeit ist. Es ist auch die Frage, ob er mit einem Tuscher, der zu ihm passt, ein kontinuierlich arbeitendes Team bilden kann. Nur wenn sich Vor- und Tuschzeichner gut kennen, können sie sich gut ergänzen. Es gibt berühmte Beispiele wie Jack Kirby und Joe Sinnott, John Byrne und Terry Austin oder Jim Lee und Scott Williams. Und es gibt das alte ökonomische Problem: Zeichnet man wenig und beschränkt sich, verdient man zu wenig, zeichnet man am Fließband und kann sich damit ernähren, brennt man schnell aus und hohe Ansprüche sind nicht mehr zu erfüllen. Giuseppe Camuncoli sollte man jedenfalls weiter im Auge behalten.
„Death“ von Neil Gaiman, Chris Bacholo, Dave McKean und anderen
Kein Superhelden-Comic: Im Juli erschienen ist das Comicbuch „Death: Der Preis des Lebens“, getextet vom viel verehrten Neil Gaiman, gezeichnet von Chris Bacholo, Dave McKean, Mark Buckingham und Jeff Jones – sozugen künstlerisch wertvoll und ein praller Band mit 196 Seiten Umfang. Über Chris Bacholo war das letzte Mal schon die Rede. Dave McKean ist einer der ganz wenigen tatsächlichen Künstler unter den Comicschaffenden, das kann man hier, hier und hier sehen. Jeff Jones ist als Illustrator und Comiczeichner ein Klassiker, der aber nach seiner Geschlechtsumwandlung in ein tiefes Loch gefallen war. Inzwischen arbeitet sie als Jeffrey Chatherine Jones wieder.
„V wie Vendetta“ von Texter Alan Moore und Zeichner David Lloyd
Auch kein Superhelden-Comic: Ein Klassiker des ernstzunehmenden Texters und „Watchmen“-Schöpfers Alan Moore in einer wohlfeilen, bibliophilen Ausgabe. Bereits als Film von den Wachowski-Brüdern umgesetzt und jetzt mit allen Print-Weihen ausgestattet – inklusive einer Maske zum Aufsetzen. Da biegt sich das Bücherregal. Zumindest bildet bei „V wie Vendetta“ das Gewicht des dicken Schinkens ein Äquivalent zu seinem Inhalt, was bei Comics selten ist.
Was neues Altes von Frank Miller
Frank Miller, der berühmte Texter/Zeichner, der inzwischen im Film-Geschäft gelandet ist, macht kaum noch Comics. Letztens ist ein schöner Druck von ihm erschienen, als Vorankündigung für seine neue „Xerxes“-Miniserie. Bis dahin gibt’s in Deutschland eine dreibändige Gesamtpublikation von „Martha Washington“. Band 1 ist bereits erschienen und Band 2 erscheint am 24. August. Dave Gibbons zeichnet steif und ungelenk, auch der Plot läßt zu wünschen übrig. Positiv ist, dass Miller politisiert, aber insgesamt ist der Comic nicht der große Wurf. Dazu trägt auch Dave Gibbons viel bei. Er ist technisch perfekt aber hölzern und undynamisch. Die Personenzeichnung der Martha Washington durch Frank Miller ist ambitioniert aber letztlich zu gewollt. Dennoch: Man ist ja froh, dass überhaupt mal was kommt von Frank Miller, was man noch nicht auf deutsch gesehen hat. Schon Band 2 enthält nämlich zum Teil Geschichten, die es in der Carlsen-Ausgabe nicht gab. Miller hatte zum Beispiel seinerzeit einzelne Episoden zum Dark-Horse-Magazin beigesteuert, die in Deutsch nie erschienen waren.
Zwei witzige Zombie-Comics
Nicht gut gezeichnet aber witzig: Zwei Bände, in denen Zombies eine Rolle spielen. Einmal der „Zombie-Survival-Guide, Dokumentierte Angriffe“ von Max Brooks (Text) und Ibraim Roberson (Zeichnungen), zum anderen „Stolz und Vorurteil und Zombies“ auf der Grundlage von Jane Austens Literatur-Klassiker „Stolz und Vorurteil“. Der erste Zombie-Band ist ein fiktives Geschichtsbuch des Kampfes der Menschheit gegen die Zombies. Die Jane-Austen-Persiflage war als Buch von Seth Grahame-Smith ein Bestseller, nun gibt es das Comic zum Buch – getextet von Tony Lee, gezeichnet von Cliff Richards – und im nächsten Jahr den Film mit Natalie Portman in der Hauptrolle. Beides sehr kreativ-witzig, grafisch aber nicht der Rede wert. Es zeigt sich hier wieder das innovative Potenzial der Comics. Beide Bände kommen subversiv daher.