Ein Mann kommt in Untersuchungshaft, weil er von einer Frau angezeigt wird, die er vergewaltigt haben soll. Schon kurz danach gelangen interne Unterlagen der Staatsanwaltschaft inklusive der Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Frau in die Medien. Heute ist Jörg Kachelmann, der seit dem 20. März einsitzt, aus der Untersuchungshaft freigekommen.
Am 6. September soll der Prozess gegen den Moderator und Unternehmer in Sachen „Wetterbericht“ losgehen. Wohl nur selten in der deutschen Rechtsgeschichte konnte die Öffentlichkeit so schnell so tief in die menschlichen Abgründe blicken, die sich hinter einem Fall verbergen. Denn der Angeklagte ist ein Prominenter, ein Medien-Mensch, in den viele etwas hineinprojezieren. Er war der Pionier für einen locker und witzig moderierten Wetterbericht.
Die Vorverhandlung des Falles „Kachelmann“ im Internet
Im Internet ist in diversen Foren seit seiner Verhaftung mehr als genug alles Mögliche diskutiert worden. Dort wurden teils völlig unsachlich und parteiisch rechtliche und forensische Diskussionen geführt, wurde ausgiebig über die Sexualität von Kachelmann und seinen Partnerinnen geschrieben.
Instrument „öffentliche Meinung“
Das Internet hat alles schnell gemacht. Wo man früher mindestens auf die Abendausgabe der Tageszeitung warten mußte, klickt man heute und kann direkt lesen, dass Kachelmann aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Fragwürdig bei dieser Medien-Seifen-Oper ist zunächst, dass die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit und ihre Meinung aktiv nutzt, um das Gericht und seine Entscheidungen, einen Verdächtigen auf freien Fuß zu setzen oder nicht, in ihrem Sinne zu beeinflußen.
Das Gericht entscheidet auf Freilassung aus der Untersuchungs-Haft
Jörg Kachelmann wurde jetzt auf freien Fuß gesetzt, weil das Gericht in Form des 3. Strafsenates des Oberlandesgerichtes Karlsruhe vieles, was die Staatsanwaltschaft Mannheim ins Feld geführt hatte, auf wackligen Beinen sah. Es führte für die Freilassung aus, dass es keinen dringenden Tatverdacht gebe. Die Grundlage dafür ist zunächst, dass das mutmaßliche Opfer gleichzeitig die alleinige Zeugin ist, es steht also formal Aussage gegen Aussage. „Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive“ konnte das Gericht dabei nicht ausschließen, weil sich die Frau durch Falschaussagen zum Teil unglaubwürdig gemacht hatte. Auch die Gutachter, die zunächst von der Staatsanwaltschaft beauftragt worden waren, konnten nichts ermitteln, was die Aussage des mutmaßlichen Opfers gestützt hatte.
Die Staatsanwaltschaft auf wackligem Boden
Das alles bedeutet nicht, das Jörg Kachelmann unschuldig ist, es stärkt jedoch die Position der Verteidigung. Es war schon seit Monaten in den Medien und von der Öffentlichkeit diskutiert worden, warum Kachelmann angesichts einer offensichtlich dünnen Beweisdecke in Untersuchungshaft bleiben muß. Als gebürtiger Schweizer hätte er zwar in die Schweiz flüchten können und wäre nicht ausgeliefert worden, es wäre ihm aber letztlich dort der Prozess gemacht worden. Die Staatsanwaltschaft hatte dann einen weiteren psychologischen Gutachter beauftragt, was ungewöhnlich ist, der der ersten Gutachterin widersprach und dem mutmaßlichen Opfer einen traumabedingten Gedächtnisverlust attestierte. Dass eine Staatsanwaltschaft zwei Gutachter beauftragt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wirft kein gutes Licht auf die Verlässlichkeit dieser Staatsanwaltschaft.
Die neue Gerichtsbarkeit: 10.000 Maniacs
Nun ist Jörg Kachelmann zunächst frei. Das Web wird vermutlich in den nächsten Tagen von einer Welle des Zuspruchs erfasst werden und viele werden sich bestätigt fühlen – gaben doch das ungelenke Agieren der Staatsanwaltschaft und die fragwürdige Beweisdecke genügend Grund zum Zweifeln. In den Medien waren parallel 80 Millionen Deutsche erst zu 80 Millionen Bundestrainern mutiert, jetzt haben wir 80 Millionen Richter. All die Wahrheiten und Halbwahrheiten, die ans Licht der Öffentlichkeit gedrungen sind, haben in der Öffentlichkeit gar nichts verloren. Sie sind auch nicht öffentlich, quasi per medialem Volksentscheid, zu bewerten. Das muß schon ein Gericht machen, das sich die Gesamtfaktenlage anguckt. Da aber die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit offenbar mit ins Boot holen wollte, kann nirgendwo mehr von Unvoreingenommenheit gesprochen werden. Die Grundlage der Gerichtsbarkeit ist aber Neutralität. Massenhafte Meinungsmache mündet in Ungerechtigkeit.