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Was geschah auf der Loveparade? Der bisherige Erkenntnisstand

Chaos über Chaos: Auch die BUndesbahn hatte es, wie immer, nicht im Griff.

Chaos über Chaos: Auch die Bundesbahn hatte es, wie immer, nicht im Griff.

Inzwischen gibt es 19 Tote und 342 Verletzte als Folge einer Panik bei der Duisburger Loveparade. (Unter den Toten waren Menschen aus Deutschland, China, den Niederlanden, ein Australien, Italienen, Bosnien herzegowina und Spanien.) Bekannt ist, dass Deutschland über 80 Millionen Bundestrainer verfügt, unbekannt war dass Deutschland auch 80 Millionen Loveparade-Katastrophen-Deuter hat.

Genaugenommen 79.999.996, weil die vier, die heute Mittag in Duisburg angetreten waren, um eine Pressekonferenz abzuhalten, kaum etwas  Substanzielles von sich gegeben haben. Sie betrieben im Wesentlichen Desinformation bzw. mauerten mit Verweis auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Diese Vier waren Sicherheitsdezernet und Leiter des Krisenstabes Wolfgang Rabe, Detlef von Schmeling als stellvertretender Polizeipräsident, Rainer Schaller, der Veranstalter der Loveparade, der im übrigen bekannt gab, dass dies die letzte Loveparade gewesen sei, und Adolf Sauerland, der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg.

Wie kam es zu der Loveparade-Katastrophe?
Selbst unverfängliche Informationen wie Flächenangaben zum Veranstaltungsgelände ließen sie sich aus der Nase ziehen. Die Fakten werden irgendwann auf dem Tisch liegen. Ich möchte aber mal bis hierhin zusammenfassen, was sich bisher für ein Bild ergibt. Dieses Bild muß nicht vollständig oder richtig sein. Es trägt den offiziellen Stellungnahmen aus der Pressekonferenz, einigen Presse- und Webveröffentlichungen und ein paar Tweeds und Videos Rechnung.

Im Wesentlichen geht es um folgende Fragen:
Frage 1: Wurde der Besucherandrang falsch eingeschätzt?
Frage 2: War die Unterführung, bei der die Katastrophe stattfand, als Zugang zum Gelände ungeeignet?
Frage 3: Wer trägt die Verantwortung für das Unglück?

Die Größe des Veranstaltungsgeländes
Bezeichnend für die Situation ist schon allein, dass selbst die simpelsten Fakten nicht klar zu sein scheinen: Es waren bisher die unterschiedlichsten Zahlen darüber zu lesen, wieviel Menschen das Veranstaltungs-Gelände fassen kann und wieviele tatsächlich darauf feierten. Ich habe Angaben über das Fassungs-Vermögen zwischen 250.000 und 500.000 gehört. Es wurde dann gemutmaßt, es seien bis zu 800.000 Menschen auf dem Gelände gewesen. Das Gelände war größer als das bei der Loveparade in Dortmund. Das Kern-Veranstaltungs-Gelände misst laut Wolfgang Rabe, dem Leiter des Krisen-Stabes, etwa 120.000 qm, insgesamt standen 240.000 qm Nutzfläche für die Besucher zur Verfügung. Rechnet man statistisch zwei Menschen pro Quadrat-Meter, kann man gerundet von 250.000-500.000 Menschen ausgehen, die auf den Platz passen. Laut dem stellvertretenden Polizeichef Detlef von Schmeling war der Platz aber zu keinem Zeitpunkt der Veranstaltung komplett gefüllt. Dies lasse sich anhand von Luft-Bildern überprüfen. Der Platz könne, so wurde weiter in der Presse-Konferenz gesagt, 250.000-300.00 Personen fassen.

Die Anzahl der Besucher
Im Vorfeld war gesagt worden, es würden 1 Millionen Besucher erwartet. Offiziellen Angaben zufolge waren 2007 bei der Essener Loveparade 1,2 Millionen Besucher angereist, 2008 etwa 1,6 Millionen in Dortmund und in Duisburg sollen es gestern 1,4 Millionen gewesen sein. Nun kann man davon ausgehen, dass sich die Besucher verteilen, dass also niemals alle Besucher zur gleichen Zeit auf dem Veranstaltungsgelände sind. Von daher scheint die Dimensionierung des eigentlichen Veranstaltungsortes ok zu sein. Detlef von Schmeling sprach in der Pressekonferenz von 104.000 gesicherten Besuchern. Die Zahl käme von der Bundesbahn und bezieht sich vermutlich auf die Nutzung der Sonderzüge. Er rundet dieses später auf 150.000 Besucher auf. Tatsächlich ist es in Veranstalterkreisen üblich, Besucherzahlen stark nach oben zu runden. Dennoch sind diese „gesicherten“ Zahlen andererseits viel zu niedrig gegriffen.

Die Wege zur Veranstaltung und der Tunnel
Der Tunnel, in dessen Umfeld sich die Tragödie ereignete, war tatsächlich der einzige Zugang zum Loveparade-Gelände. Zwei Hauptzuwege mündeten in den Tunnel ein. Der soll ca, 120 Meter lang sein und 16 Meter breit. Die 4.000 Polizisten setzten darauf, die Besucherströme zu lenken und durch flexibel aufzustellende Sperren – wenn nötig – auszudünnen. Die Logik, die dahinter steckte, war ganz einfach: Im Tunnel als denkbarem Nadelöhr kann nichts passieren, wenn man die Besucherfrequenz über Sperren steuert, das heißt nach Bedarf vermindert. Unter Umständen war ein schlecht zu steuernder Faktor, wieviel Menschen wieder zurück vom Festivalgelände in die gegenläufige Richtung wollten. Wenn dies zuviele gewesen wären, wären sie auf jene getroffen, die hineinwollten – und es hätte so zum „Menschenstau“ kommen können.

Keine Panikmache: Zuviele Menschen führen zum Kontrollverlust
Panikforscher sprechen davon, dass bei einer Menschenmenge von mehr als einem Menschen je Quadratmeter, der Einzelne in seiner Fähigkeit zu agieren bereits stark eingeschränkt wird. Fällt zum Beispiel in so einer Menge ein Mensch hin und reisst er weitere mit sich, kann es sehr schnell zu einem Schneeballeffekt kommen, der dazu führt, dass viele mitgerissen werden. Am Anfang hatte es geheißen, dass der Tunnel einseitig gesperrt worden war und von der offenen Seite immer mehr Menschen nachgedrängt hätten. Dem wurde von offizieller Seite widersprochen. Auch wurde gesagt, die Toten und Verletzten hätten nicht im Tunnel gelegen sondern davor. Es scheint also so gewesen zu sein, dass eine zu große Menschenmenge sich in und am Tunnel bildete. Diese kann durch punktuell zu viele Menschen verursacht worden sein, die gleichzeitig rein und raus wollten. Wenn die Polizei den Zustrom geregelt haben sollte, stellt sich die Frage, ob dies auf dem Veranstaltungsgelände für die vom Gelände Zurückwandernden auch galt. Wurde hier der Menschenstrom konsequent geleitet?

So könnte es passiert sein
In der eng stehenden Menschenmenge machte sich Panik breit. Einzelne kletterten an einer Treppe hoch oder stiegen auf einen Container, um dem Druck zu entkommen. Es war schon kurz nach dem Unglück die Rede davon, das einige dieser Kletterer abstürzten – in die Menschenmenge hinein. Das kann dazu geführt haben, das Menschen umgerissen wurden, was zu einer panikartigen Bewegung der Gesamtmenge geführt haben könnte. Der Stauforscher Professor Schreckenberger, der im Rahmen der Loveparade als Panikforscher vorgestellt wurde und in der vorbereiteten Arbeitsgruppe als Experte mitgearbeitet hatte, hat in einem Interview zugegeben, dass das erarbeitete Sicherheitskonzept nicht darauf vorbereitet war, dass jemand von oben auf die Menschen-Menge fällt. Zusammenfassend nochmal ein Blick auf die zu klärenden Fragen:

Frage 1: Wurde der Besucherandrang falsch eingeschätzt?
Antwort: Insgesamt unter Umständen nicht. Es kann aber sein, dass die Zu- und Rückströme im Hinblick auf das Nadelöhr „Tunnel“ nicht richtig geregelt wurden.

Frage 2: War die Unterführung, bei der die Katastrophe stattfand, als Zugang zum Gelände ungeeignet?
Sie stellte ein Risiko dar. Es ist einzukalkulieren, dass es bei solch einer Veranstaltung zu einer Panik kommen kann. Die Veranstalter hatten in ihr Sicherheitskonzept integriert, dass im Falle von Vorkommnissen auf dem Veranstaltungsgelände, zahlreiche Wege geöffnet werden können, damit die Besucher das Gelände geregelt und zügig verlassen können. Der Regel-Zugang und –Ausgang war jedoch der Tunnel. Offensichtlich hat man ihn wegen der Konzeption der Besucherstromregelung nicht als Risiko angesehen, was offensichtlich eine Fehleinschätzung war. Nach jetzigem Kenntnisstand kamen die Menschen zwar nicht im Tunnel um’s Leben oder wurden verletzt, aber die Ursache des Staus liegt offenbar im Tunnel.

Frage 3: Wer trägt die Verantwortung für das Unglück?
Sofern die vorhergehende Analyse stimmt, liegt das Problem in der Grund-Konzeption. Demnach war ein schmaler Zugang zu risikoreich. Möglich ist auch, dass höhere Gewalt, worin die auch immer bestanden haben mag, zu der Massenpanik geführt hat. Erkenntnisse von anderen Katastrophen – ausgelöst durch Massen-Panik zum Beispiel in Fußball-Stadien – zeigen aber, dass gar nicht viel dazu nötig ist, um eine solche Panik auszulösen. Als Grundlage für eine Massen-Panik müssen einen zu viele Leute zu eng zusammenstehen, dann kann der Einzelne seine Aktionen nicht mehr selbstständig steuern; zum anderen genügt ein kleiner Auslöser wie ein Mensch, der umfällt oder auf andere fällt. Im Falle einer fehlerhaften Konzeption würde die Schuld die Gesamtgruppe des Lenkungsausschusses für die Sicherheits-Maßnahmen tragen. Denkbar wäre auch ein agressiver Akt einzelner. Für diese letztere Möglichkeit, habe ich bisher keinerlei Hinweise gesehen. In der Presse-Konferenz wurde von Polizeiseite sogar die Massen-Panik bestritten. Es gab Stimmen, dass die Polizei die Panik durch unbedachte Handlungen geschürrt hätte, Beweise dafür habe ich noch nicht gesehen.


Duisburg zu klein für eine derartige Großveranstaltung?

Die Gewerkschaft der Polizei hat unserer bisherigen Einschätzung zugestimmt, dass Duisburg mit seinem engen städtebaulichen Zuschnitt die Loveparade eigentlich nicht hätte ausrichten sollen. So gesehen trägt die Politik, namentlich Ober-Bürgermeister Adolf Sauerland die Schuld daran, dass die Loveparade in eine Stadt kam, die für so eine Groß-Veranstaltung nicht ausgelegt ist.

Die kalte Hotline
Unterstützung erhält diese These durch die Nebenbei-Kritik, dass 570.000 Personen die Hotline hätten anrufen wollen und nur 5.400 Anrufe bearbeitet werden konnten – ein Indiz dafür, dass die Maßstäbe der Loveparade eine Nummer zu groß waren.

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