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Aus Minderwertigkeits-Komplexen entstehen manchmal Arroganz und Trotz. Der Begriff der „Metropole Ruhr“, die keine Metropole ist, ist so eine politische Trotz-Reaktion. Worauf? Darauf, dass das Ruhrgebiet ist wie es ist: Eine Ansammlung von vielen Menschen, von provinziellen Städten, ein so genannter „Ballungsraum“. Aber kein Paris und kein London – zwei Großräume mit denen sich das Ruhrgebiet aber gerne vergleicht.

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Ein andere Wort für „Metropole“ wäre „Weltstadt“.
Dies bezieht sich darauf, dass eine Stadt das Zentrum ihrer Region ist. Auf die Verhältnisse der so genannten „Metropole Ruhr“ gemünzt würde das bedeuten, dass das Ruhrgebiet politisch, wirtschaftlich und kulturell der Mittelpunkt von Nordrheinwestfalen oder der Bundesrepublik sein müßte. Ist es das? Nein. Die einzige Stadt, die sich in Deutschland eventuell Metropole nennen dürfte, wäre Berlin. Dabei ist das Ruhrgebiet noch nicht einmal eine Stadt, oder noch niederschwelliger argumentiert, hier ist man erst in den Anfängen auch politisch – ohne Zweckbindung – mit einer Zunge zu sprechen. Jede größere Stadt ist im Zweifelsfall Konkurrentin der anderen.

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Auch die „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ will ein großes Rad drehen.
Ist es ein Hamsterrad? Oder ein imaginietrtes Rad der Nachhaltigkeit? Weder noch. Klar: Beide – die „Metropole Ruhr“ als Marketing-Name für eine Region und die „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ als Marketingname für einen Kulturraum – wollen das Perpetuum Mobile, etwas, das angeschoben wird und dann aus eigener Kraft weiterläuft. Der Physiker weiß: Das geht nicht ohne Energiezuführung von außen. Der Marketingexperte müßte das auch wissen, da er aber kein Naturwissenschaftler ist, ist er dem Exakten nicht so verhaftet. Er sagt dann einfach, das doch eher provinzielle Ruhrgebiet sei eine Metropole, um es aufzuwerten. Und die „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ schiebt auch eher das ganz große Rad an, läßt die A40 sperren, schreibt auch bei der Loveparade: „Wenn das geht, geht alles“, holt also mit der „Loveparade“ eine Metropolenveranstaltung in die Ruhrprovinz ohne ein Konzept zu realisieren, das adaptiv den hiesigen Gegebenheiten Rechnung trägt.

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Dazu nur ein städtebaulicher Aspekt:
Ist man das erste Mal in New York, fällt etwas auf: Die Häuser sind riesig, und zwar eigentlich fast alle, sie wirken geradezu aufeinandergestapelt, man fasst es nicht und dementsprechend breit sind auch die Straßen. Guckt man sich die Champs-Élysées in Paris an, oder die Hauptverkehrsadrern der Innenstadt von Rom, dann merkt man: diese Straßen sind so breit, dass man von einem Bürgersteig kaum zum nächsten blicken kann. Solche Straßen kenne ich nicht aus München, nicht aus Frankfurt oder Hamburg, solche Straßen gibt es nur in der Berliner Innenstadt. Das ist keine besondere Weisheit, es ist nur augenfällig. Diese Straßen lassen auch eine Ruhrgebietsautobahn wie die A40 als als eber schmalspurig erscheinen.

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Das heißt: Für 1-2 Millionen erwarteter Besucher muß man Vorkehrungen treffen.
Man kann sie nicht einfach so herumlaufen lassen, bis sie in die Falle laufen. Zweimal schon war die Loveparade im Ruhrgebiet, 2007 in Essen, 2008 in Dortmund. Gelsenkirchen soll im nächsten Jahr der Veranstaltungsort werden. Weitere zwei Jahre sind im Ruhrgebiet projektiert. Die Dortmunder Loveparade hat viele logistische Fragen aufgeworfen, deren Antworten auch in Duisburg weitergeholfen hätten.

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Wieviel Menschen passen auf die Fläche?
Wobei die Loveparade in Duisburg nicht innerstädtisch abgelaufen ist sondern zum ersten Mal auf einem externen Gelände, dem ehemaligen Güterbahnhof. Die Fläche darauf, die für die Loveparade vorgesehen war, fasst offiziellen Angaben zufolge 500.000 Menschen. Ich habe aber auch gehört, dass sie eigentlich für weniger Besucher gedacht gewesen wäre und dass weit mehr als die 500.000 auf dem Gelände waren – obwohl die Veranstalter schon im Vorfeld eine Million Besucher prognostiziert hatten. Es kamen aber wohl erheblich mehr, ähnlich wie in den Jahren zuvor (1,2 Mio. in Essen, 1,6 Mio. in Dortmund).

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Hier deutet sich schon ein Zielkonflikt an:
Klar war, dass das Gelände nicht die Besucher fassen würde, die kommen würden. Klar war auch, dass zum Beispiel ein innerstädtischer Umzug aus Platzgründen nicht möglich war. So mußten die Trucks auf dem Gelände umherfahren. Schon Berlin hat sich um die Loveparade nicht mehr gerissen, weil der einstmals schöne Event für immer mehr Negativschlagzeilen gesorgt hatte, Müll-Lawinen und organisatorisch schwer zu beherrschende Menschenmassen seien hier nur als Stichworte genannt. Mit welchem Konzept und mit welcher Arroganz hat nun Duisburg diesen Event an Land gezogen? Müssen erst Menschen sterben, damit die eigene Leistungsfähigkeit realistisch beurteilt wird?

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Verprellte Loveparadeler
Selbst Leute, die früh angereist waren, liefen am Duisburger Hauptbahnhof angekommen, nur noch vor Sperren. Ein beträchtlicher Teil der Angereisten hat das Gelände der Loveparade nie betreten können. Wegen schlechter Planung.

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Etwa 17 Uhr in Duisburg ankommend: Ein Kurzbericht.
Ich gehe die Treppe vom Bahnsteig die einzige Treppe hinunter, die freigegeben ist. Die andere ist mit Polizeisperren zugestellt. Unten ein großes Schild mit der Aufschrift „Loveparade“ und einem Pfeil nach Rechts. Alle gehen also nach rechts. Dort steht eine Polizeisperre. Niemand darf durch. Also die andere Richtung. Ein Umweg, der letztlich wieder nach rechts in Richtung Silberpalais führt. Ab da keinerlei Beschilderung. Ich frage, wo es weiter geht. Ein Polizist sagt „weiter geradeaus“, dass es aber keinen Sinn hätte weiterzugehen, weil „seit mehreren Stunden“ alles abgesperrt sei. Stimmt. Ich warte, gehe irgendwaqnn wieder zurück, will in den Bahnhof. Der ist aber auch gesperrt. Manch einer reagiert aggressiv: zu viele Menschen, es ist eng, man kann sich nicht so bewegen, wie man will. Einer vor mir hält es nicht aus, wirftt sich, mehrfach angerempelt mit seinem ganzen Körpergewicht für einen Augenblick nach hinten, stößt damit wieder andere Menschen an. Für eine Zehntelsekunde sieht man Panik in den Augen der Leute. Und es ist verdammt eng. Wenn einer ausrastet, reagieren die anderen nur. Wer solche Veranstaltungen organisiert, weiß das. Wer solche Veranstaltungen auf den vergleichsweise engen Straßen des Ruhrgebiets organisiert, muß also doppelt auf der Hut sein.

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Später, im Zug nach Hause, viele Enttäuschte.
Der eine sagt: „Das muß ich erstmal verkraften“ und meint damit die Todesopfer. Andere erzählen von Aggressionen unter den Besuchern auf dem Gelände der Loveparade, wieder andere davon, dass sie hin- und hergeschickt wurden, dass die eine Sicherheitskraft sagt „Da könnt ihr lang“ und dort angekommen eine andere sagt „Hier geht nichts mehr, hier kann keiner durch“. Viele haben von der Loveparade nichts mitbekommen, sind frustiert. Ein übriges tut der Schatten der Katastrophe, er nun über der Veranstaltung liegt. Einer spricht von 300 Verletzten wird von jemand anderem auf „über 100“ nach unten korrigiert.

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Man denkt an die Veranstaltung „Still-Leben Ruhrschnellweg“ von vor ein paar Tagen.
Auch da kamen mehr Menschen als gedacht, allerdings verteilt auf die Autobahnlänge von 60 Kilometern. Da ging alles gut, trotz Millionen Menschen, die Sanitäter konnten Däumchen drehen. Bei der Loveparade sind auf der gesperrten A59 gleich einige Rettungs-Hubschrauber gelandet. Das sah aus wie im Krieg, jedenfalls wie bei einer regelrechten Katastrophe.

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Image-Gewinn, Image-Verlust.
Beim „Still-Leben Ruhrschnellweg“ waren – wir berichteten – Transparente der „Kulturhauptstadt Ruhr2010“ gespannt. Darauf stand: „„Wo das geht, geht alles“. 15 Tote, zig Verletzte: „Wo das geht, geht alles?“ ist man nun geneigt zu polemisieren. Die Stadt Duisburg und damit auch das Ruhrgebiet haben sich eine Veranstaltung eingekauft, die einen Imagegewinn bringen sollte. Es war aber augenfällig, dass hier das Chaos noch nicht einmal verwaltet geschweige denn beherrscht worden war. Die Quittung sind letztlich viele Tote und Verletzte, die gokommen waren, um zu feiern. In einem Kommentar heute auf eine Veröffentlichung zu den Ereignissen hieß es: „Die Spaßgesellschaft will weiter feiern, wir verkraften 15-20 Tote mit einem Hüftschwung.“ Sehr falsche Einschätzung, würde ich sagen.

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Das Ruhrgebiet: Die Anti-Metropole.
Das Ruhrgebiet jedenfalls ist mit diesem Großereignis, mit dem es nochmal für Furore sorgen wollte, in einen PR-GAU getappt, weil Duisburg seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Andererseits sollten sich jetzt Diskussionen anschließen, welcher Event wie in eine Ruhrgebiets-Stadt passt. Das Ruhrgebiet ist keine Metropole, es ist ein Konglomerat kleinerer und ein paar größerer Städte, die sich auf keinen Fall mit den Großräumen London oder Paris messen sollten.

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Die wirklichen Metropolen und ihre Zahlen.
In London im weiteren Sinne leben weit über 8 Millionen Einwohner (2001), im weiteren Einzugsgebiet, der Metropolregion, insgesamt ca. 14 Millionen Menschen, in der von Paris 12 Millionen, im Ruhrgebiet nur etwas über 5 Millionen Einwohner – mit abnehmender Tendenz. Da wäre Demut angesagt. Klar muß man sich vermarkten, wenn man sich aber zu sehr von der Realität entfernt, glaubt das keiner mehr – außer vielleicht man selbst, weil man es sich jahrelang eingeredet hat. Im weitesten Sinne hat dieses Großmannsdenken dazu geführt, dass die Loveparade ins Ruhrgebiet kam.

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Die Avenue des Champs-Élysées in Paris ist 70 Meter breit.
Im Ruhrgebiet sind die Straßen eher 70 Meter lang. Dem sollte man Rechnung tragen. Damit man seriös bewältigen kann, was man sich auf die Schultern packt. Für „Still-Leben Ruhrschnellweg“ wurde ein Jahr lang geplant, organisiert und geprobt. Wie lange war die Vorbereitung für die Duisburger Loveparade? Und wann kultiviert das Ruhrgebiet seine Stärken anstatt seines Größenwahns? Wann steht es zu der Kultur, die hier im kleinen erstaunliche Blüten treibt, die der „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ aber bisher ziemlich schnuppe sind angesicht dimensionssprengender Events wie der Loveparade.

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