Wer Standort-Marketing betreibt, muß die richtigen Bilder zeigen, um den Standort zu profilieren und auch die richtigen Worte, die all das übersichtlich zusammenfassen, was sich sehen läßt aber schlecht zu subsummieren ist. „Headline“, „Slogan“ oder „Claim“ heißen die Kurzsätze, die komplizierte Sachverhalte verständlich und konsumierbar machen sollen.
Der Mega-Event „Still-Leben Ruhrschnellweg“ am 18. juli 2010, bei dem im Ruhrgebiet zwischen Duisburg im Westen und Dortmund im Osten auf 60 Kilometern die A40 als Hauptverkehrsader gesperrt und für Fußgänger und Fahrradfahrer zugänglich gemacht wurde, lieferte die passenden Bilder für die Medien. Bilder, die den Beweis antreten sollten, dass das Ruhrgebiet anders ist, als viele denken.
Gigantomanie unter der Schirmherrschaft der „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“
Es wurden aber auch die richtigen Worte gesucht und gefunden. Zum Zuge kamen dabei nicht nur die Profis von der Marketing- und Kommunikationsabteilung des Standortprojektes „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ sondern auch die beteiligten Teilnehmer, die vielen Gruppen, Institutionen und Vereine, die an den 20.000 Tischen Platz genommen und gefeiert hatten. Sie alle haben auch verbal in irgendeiner Form Position zum Ruhrgebiet und seiner Kultur bezogen. Wir zeigen einige Beispiele:
Der Event-Name: „Still-Leben Ruhrschnellweg“
Es hätte auch heißen können „Still-Leben A40“. Das wäre kürzer gewesen, hätte aber nicht den Begriff „Ruhr“ enthalten. „Still-Leben“ bezieht sich offensichtlich darauf, dass auf der Hauptverkehrsader des Ruhrgebiets immer etwas los ist, immer Bewegung zu sehen ist, die praktisch nie endet. Bis auf dieses eine Mal, wo kein Auto mehr fährt, kein Lärm mehr zu hören ist. Die A40 wird zum Kunstwerk – so könnten es sich die Initiatoren gedacht haben, zu einem wortspielerischen „Still-Leben“, einem „Leben in Stille“, ohne die sonst allgegenwärtige Lärmbelästigung.
Der Appetizer oder Opener: „Ich bin mitten drin“
Die A40 ist im Vorfeld der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 neu gestaltet worden. Das betrifft die nun bunten Seiten-Paneele und drei Schriftzüge, die die Brücken zieren, die über die A40 führen. Sie lauten: „Rahn müsste schießen“, „Rahn schießt“ und „Tor! Tor! Tor!“. Die Zitate stammen aus der Fußball-Weltmeisterschafts-Reportage von 1954. In gleicher Optik ist zum Tunnel in die A40 in Essen „Ich bin mitten drin“ zu lesen. Mitten im Geschehn, mitten im Großevent und Teil davon. Ein Slogan, der Identifikation stiftet und die Grenzen zwischen dem Besucher und dem besonderen Ereignis überwinden will. „Mitten drin sein“ und keine Rand-Existenz zu führen innerhalb von NRW und innerhalb Deutschlands war schon immer das zentrale Anliegen des bevölkerungsreichen Ruhrgebiets. Allerdings ein hoher Anspruch, der da formuliert ist und der eingelöst sein will.
Auf den Punkt gebracht: „Wo das geht, geht alles“
Jeder kann sehen, dass das Fest, das hier gefeiert wird, einmalig und dimensionssprengend ist. Etwas, das nicht einfach zu machen war, das ein organisatorisches Meisterstück der interkommunalen Zusammenarbeit war. Es gab keine Probleme, keine Ausschreitungen, keine Müllberge. Und auch noch schönes Wetter. Alles war perfekt. Das wirft ein positives Licht auf diese Region, die ihrem Schmuddel-Image entkommen will. Der Satz „Wo das geht, geht alles“ bringt das sehr genau und merkfähig auf den Punkt. Er enthält ein superlativisches Versprechen, wirkt andererseits zukunftsgerichtet, motivierend und glaubhaft durch die Sogwirkung des Positiv-Ereignisses.
Überschrift: „Die interessanteste Kultur kommt immer noch von der Straße“
Wortspiel und charmantes Lob der A40. Vielfalt war am 18. Juli 2010 angesagt: Kleinkunst, Improvisation, Individualität, skurile Aktionen 60 Kilometer lang. Das war manches Mal Kultur „von der Straße“ aber auch Kultur aus dem Schrebergarten, dem Taubenzüchterverein oder der Eckkneipe. Außerdem kommerzielle Selbstdarstellungen und Inbesitznahmen von Groß-Unternehmen. Viele Ruhrgebietsstädte kümmern sich überproportional um die etablierte Kunst rund um Theater, Opernhaus und großer Ausstellung. Mancherorts kommt die kleine Kunst zu kurz. So gesehen kommt Kunst in der offiziellen Wahrnehmung nicht von der Straße sondern aus den Musen-Tempeln. Ein Widerspruch, der hier nicht aufgelöst werden kann. Die Aussage „Die interessanteste Kultur kommt immer noch von der Straße“ läßt sich nicht bestreiten, die Politik tut aber zu wenig, um ein gesundes kulturelles Klima zu schaffen. In Zeiten der „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ wird Kultur hoch gehalten und beschworen. Warten wir mal ab, welcher Katzenjammer im nächsten Jahr zu hören ist, wenn das Projekt beendet ist.
Der Superlativ: „Die längste Tafel der Welt!“
Jedes Ereignis, das Eindruck schinden will, braucht mindestens einen Superlativ, mit dem es sich profilieren kann. „Die längste Tafel der Welt!“ erfüllt diese Funktion. Ganz angenehm ist es zudem, diesen Superlativ mit der gastronomischen Komponente zu verbinden, wobei das große Essen an dem Tag gar nicht das Thema war. Die Leute sollten ihr Essen lieber mitbringen. Die Bewirtung an den Tischen war eher rudimentär.
Lokal-Patriotismus: „Kulturhauptstadtteil Holsterhausen“
Wie sehen die Besucher und die Gruppen an den Tischen die „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ und das „Still-Leben“? Richtig ist, dass das, was sich „Kulturhauptstadt“ nennt, nichts Monolithisches ist. Die Kulturhauptstadt gibt es nicht, sie ist ein Marketing-Konstrukt. Dahinter verbirgt sich eine Ansammlung von Kunst und Kultur ohne Gemeinsamkeiten, die sich nicht subsummieren läßt. Der „Holsterhauser Bürgerbund“ dreht den Marketing-Spiess um. Er bezeichnet sich als „Kulturhauptstadtteil Holsterhausen“, profitiert von der Wichtigkeit des Sprachkonstruktes und deutet ihn lokalpatriotisch um.
Das Ruhrgebiet auf der Witz-Schippe: „Woanders ist auch Scheiße“
Die Leute im Ruhrgebiet sind bekannt für ihren augenzwinkernden Humor. Einige Menschen waren beim „Still-Leben Ruhrschnellweg“ unterwegs und trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Woanders ist auch Scheiße“. Das ist Humor aus der Defensive, der durch seine Offenheit aber wieder souverän wirkt. Das Ruhrgebiet kranke an seinem Image, behauptet eigentlich jeder, der hier geschäftlich oder politisch agiert. Tatsächlich ist der Vorzeige-Industriestandort, der mal mit Kohleförderung und Stahlproduktion Motor der Republik und Boom-Region gewesen war, inzwischen strukturschwach geworden, erfindet sich aber Stück um Stück neu. Das Einmalige der Kulturlandschaft ist der dichten Besiedlung und dem Eigensinn der einzelnen Städte geschuldet, die am besten alle eigene Theater und Philharmonien hatten haben wollen, um den anderen nicht nachzustehen. „Woanders ist auch Scheiße“ gibt den Geist des Ruhrgebiets sehr genau wieder. Das ist verbales Lokalkolirit.
Kultur von unten: „Titti-Sisters 13:30“
Die Vielfalt der Veranstaltung zeigt sich beispielhaft in den wenigen Worten dieses puristischen Veranstaltungsplakates im DIN A4-Format, das auf einem Stuhl gestellt wurde. Auch das zeugt auf Umwegen vom Charme und der Kreativität des Ruhrgebietes.
Befriedung von Schalke und dem BVB: „Freundschaft ohne Grenzen“
Mehr Konterpart als die alten Erz-Revier-Fußball-Rivalen „Schalke 04“ aus Gelsenkirchen und „Borrussia Dortmund“ kann eigentlich nicht sein. Hier von „Freundschaft ohne Grenzen“ zu sprechen, kommt auch wieder einem Witz nahe. Bevor nämlich Schalke 04 und Borrusia Dortmund zueinander finden, wird der Libanon befriedet sein. Der spezifische Wortwitz zeigt sich auch hier.
Ein selbstbewußtes Augenzwinkern: „Letzte Ausfahrt Ruhrgebiet“
„Letzte Ausfahrt Brooklyn“ heißt das berühmte Buch des Amerikaners Hubert Selby. Ein trauriges, niederschmetterndes Buch, das keine Chance auf Hoffnung läßt. Das ist hier aber nicht gemeint. Hier ist die letzte Ausfahrt die passende. Wer sie nimmt, bleibt im Ruhrgebiet. Wieder dieses Augenzwinkern, das hier weit verbreitet ist.
Das Original: Das Straßenschild der Ruhrgebiets-Verkehrs-Ader „A40“
Eine Autobahn verbal-metaphorisch und symbolhaft überhöht – aber es gibt sie natürlich vo9r allem real als normal-monströse Autobahn, die wegen der großen Bevölkerungs- und damit Autodichte immer kurz vor dem Kollaps, dem Verkehrsinfarkt, steht. Nun hat die schlimme Autostraße eine Umdeutung erfahren – eingespannt in einen gesamtkulturellen Rahmen, der nicht wirklich existent ist, sondern nur als Vehikel eines Vermarktungsprozesses funktioniert -, die ihr nicht zukommt. Die Menschen im Ruhrgebiet wissen das jenseits der Mediendarstellungen einzuordnen. Sie können sich über das Fest freuen und sind begeistert, die alte Autobahn mal aus einer ganz neuen Perspektive zu erleben, andererseits sind sie in der Lage Überhöhungen wenig ernst zu nehmen. Hier zeigt sich die eigentliche Kultur des Ruhrgebietes und seiner Bewohner.
Weitere Artikel zum „Still-Leben Ruhrschnellweg“:
1. Große Ereignisse werfen nicht nur ihre Schatten voraus
2. Auf der Autobahn nachts um halb Zwei
3. Die Ruhe vor dem Event
4. Fünf Millionen bilden einen Stau nach
6. Walk the Line
Filme zum „Still-Leben Ruhrschnellweg“:
1. A40 Still-Leben: Soul
2. A40 Still-Leben: Marsch
3. A40 Still-Leben: Chor
4. A40 Still-Leben: Folk
5. A40 Still-Leben: Mobil
6. A40 Still-Leben: Wimmel
Artikel zur „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“:
1. Der Ruhr-Fiasko-Express
2. Essen: Die Schattenseiten der Kulturhauptstadt 2010?
3. Kulturbegriff: Kultur von unten von oben betrachtet
4. Die Überhauptstadt: Cooltour-Ruhrgebaet2010
5. Ausstellung „Anton Stankowski“ im Kunstmuseum Gelsenkirchen
Filme zur „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“:
1. Essen Hauptbahnhof, Passarelle
2. Kulturstadt, Lichtstadt
3. Kultour-Meile A40
4. Lichterkette, Essen Hauptbahnhof
5. Museum Gelsenkirchen (1)
6. Museum Gelsenkirchen (2)
2 Responses to “Kulturhauptstadt2010’s A40 Still-Leben (5): Die Sprache des KultRuhrgebiets”
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