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Helge Schneider und Chilly Gonzales

beim Traumzeit Festival Duisburg, 3. Juli 2010

Nachdem Deutschland Argentinien im Viertelfinale mit 4:0 weggeputzt hat, wird Lokalmatador Helge Schneider am gleichen Tag vom Franko-Kanadier Chilly Gonzales zum Klavier-Duell gefordert.
Ein vermutlich einmaliges und ungewöhnliches Ereignis, das man gespannt erwarten durfte.

Der gebürtige sowie Wahl-Mülheimer Helge Schneider bedarf kaum der Vorstellung: Ein umtriebiges Multitalent vom Musiker, Komiker, Film- und Theaterregisseur bis hin zum Buchautor, geschätzt für sein Improvisationstalent nicht nur musikalisch und verbal. Ähnlich bunt mag es der derzeit in Frankreich ansässige Chilly Gonzales, dessen Ausgangspunkt ebenfalls der Jazz ist, den es aber gleichermaßen zu Klassik, Elektro-Pop und HipHop zieht. Zunehmend nicht nur durch seine Alben, sondern auch durch Projekte mit Peaches, Feist und Jane Birkin bekannt. Hier treffen zwei Freigeister aufeinander, die sich nicht festlegen wollen.

Foto: Sabine Engels

In der knappen Stunde Auftritt wird nicht immer klar, ob es ein Miteinander oder Gegeneinander ist. Bei der Vorstellung wird dem zahlreich erschienenen Publikum mitgeteilt, Helge würde Chilly mögen, aber Chilly könne Helge nicht leiden. Eine recht offensichtliche Finte. Dennoch agiert der über 20 Jahre jüngere Gonzales als der rebellische Herausforderer und legt eine deutlich aggressive und provokative Attitüde an den Tag. Schneider dagegen bleibt entspannt, spielt meist betont ruhige Parts.
Vielleicht zeigen sich in der Musik tatsächlich nicht nur unterschiedliche Temperamente, sondern auch Positionen: Helge Schneider muss schon lange niemanden mehr etwas beweisen und verspürt auch keine Lust dazu. Er macht in der Regel genau das, wonach ihm der Sinn steht mit minimalen Zugeständnissen an das Publikum. Dagegen scheint Gonzales gezielt den Wettstreit zu suchen, was ein vorangegangenes Klavierduell und seine Songtexte annehmen lassen. Auch sein Bestreben mit über 27 Stunden Klavierspiel den Weltrekord des Dauerkonzerts zu brechen, lassen sich als Wunsch nach Selbstbestätigung auslegen.

An diesem Samstagabend präsentieren sich die beiden Künstler in der wunderschönen Location Kraftzentrale im Duisburger Landschaftspark Nord schon äußerlich sehr verschieden: Helge Schneider trotz Sauna-Temperaturen im Anzug und Chilly Gonzales in einem Outfit, das aus der Ferne an einen Bademantel erinnert. Sie betreten das Spielfeld, und Helge legt mit überzogenem Anspruch vor. Leise stöhnt er hingebungsvoll vor sich hin. Es folgen verschiedene Posen, wobei Helge mit einem auf die Tasten gelegten Fuß den Jerry Lee Lewis nur andeutet, aber nicht ausführt. Eine Weile geht es hin und her, manchmal versucht Chilly mit anhaltenden hingehämmerten Akkorden zu stören. Zweimal haut er aggressiv in die Tasten und springt dabei vom Sitz auf, beim dritten Mal erwidert Helge mit einem höheren Sprung – Chilly antwortet mit dem Mittelfinger. Zwischendurch packt Helge die deutschen Klavierschüler-Schlager „Für Elise“ und die „Mondscheinsonate“ aus. Chilly macht erst mal Pause, deutet „two minutes“ an und geht sich ein dickes Buch holen. Dann setzt er sich auf seinen Klavierhocker und liest. Helge holt sein Handy heraus, erzählt dem imaginären Anrufer: „Bin bei der Arbeit.“

Chilly reagiert, tut so, als hätte auch er ein Handy: „I am on stage with that old German guy. He is 52, should be easy. But … he is famous.“ (genauer Wortlaut unverständlich)

Wie als Signature spielt Chilly “Somewhere over the Rainbow” an, nach einiger Zeit spielt Helge die ersten Noten von „In-A-Gadda-Da-Vida“. Chilly legt mit “Another One Bites The Dust” los, und so jagt ein Zitat das nächste. Zwischendurch visuelle Einlagen und Gags: Chilly wirft sein Glas nach hinten, Helge spielt mit der rechten Hand Pferdchen auf Klavier.
Chilly beginnt zu klatschen und mit den Handflächen auf das Klavier zu hämmern. Helge spielt daraufhin weder lauter noch schneller, sondern baut das Klatschen in den „Ententanz“ ein. Zwischendurch wird ihm langweilig und schaut zum ersten Mal auf seine Armbanduhr. Dann nimmt er längliches Klavierteil zur Hand, benutzt es zuerst als Krücke, danach als Gewehr und paddelt sich dann über die Bühne, um zuletzt Gitarrenspiel zu imitieren – Chilly begleitet die Geste mit Black Sabbath. Zurück am Klavier spielt Helge wieder ruhig und betulich, Chilly deutet Richtung Helge und zeigt dem Publikum „Wichser“ an, spuckt hinter vorgehaltener Hand verächtlich auf den Boden.
Dann verlässt er auch seinen Hocker und klettert auf den Flügel. Als er dort auf allen Vieren hockt, spielt Helge die bekannte Zirkusmelodie „Einzug der Gladiotaren“ und das Thema von „Laurel & Hardy“ an. Nun stellt Chilly Helge vor und legt eine Rap-Einlage ein.

Es ereignet sich folgender Dialog:
– Chilly: „There are some pretty bitches here, Helge.“
– Helge: „I no understand English.“
– Chilly wiederholt: „There are some pretty bitches here!“
– Helge (leiser): “I fuck them all.”

Chilly gibt abschließend zu: „Ich spreche kein Deutsch, doch das tangiert mich nur peripher.“
Das Publikum wird nach kurzer Verabschiedung mit Händeschütteln und kleiner Boogie-Zugabe in das kühle Sommergewitter entlassen.

Später fragt sich Chilly  bei Twitter, ob er gewonnen habe, er wisse es nicht. Tendenziell war es ein Unentschieden, dem ein Rückspiel folgen sollte.

Links:
http://www.helge-schneider.de/ (offizielle Homepage)
http://www.gonzpiration.com/ (offizielle Homepage)
http://www.dieruhr.de/?q=node/9913 (Ankündigung mit Bild)
http://www.ustream.tv/recorded/1519206 (Ausschnitt aus Chillys Weltrekord)

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