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Mark Millar’s Kick Ass-Comic: Ein Weichei als Superheld

Das kann John Romita jr., der Zeichner von Kick Ass, gut: Eine Action-Szene angereichert mit viel Blut. (Copyright: Marvel Comics, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Panini-Verlages).

„Kick Ass“, der Comic und der Film, ist das nächste große Ding im Medien-Virtualitäts-Nirwana. Warum speziell die Comic-Welt soviel Aufhebens von „Kick Ass“ macht, ist eine lange Geschichte, die hier erzählt werden soll. Zu verstehen ist dies vor dem Hintergrund der Entwicklungs-Geschichte der Superhelden-Comics.

Liesst man den ersten Band von „Kick Ass“, der im Deutschen bereits vorliegt und am 25. Mai von einem zweiten und letzten Band gefolgt wird, fragt man sich, warum davon soviel Aufhebens gemacht wird. „Kick Ass“ wirkt auf den ersten Blick wie eine relativ normale schlecht gezeichnete Superheldengeschichte mit ein paar Brechungen und zeitgemäßen Details wie dem Bezug zu „YouTube“ und der Kommunikation via Internet.

Medien-Crossover: Neue Qualität im Zusammenspiel zwischen Comic und Film
Innerhalb der Superhelden-Comics, die wie keine andere Comic-Gattung eng mit dem Selbstbild der männlichen Leser zusammenhängt, ist dieses Werk des britischen Autors Mark Millar und des amerikanischen Zeichners John Romita jr. inhaltlich aber doch ein Politikum. Hinzu kommt, dass „Kick Ass“ als erste Comic-Geschichte Beachtung fand, die noch während ihrer Veröffentlichung parallel verfilmt wurde. Damit ist ein Verwertungsschritt getan, der von manchen erwartet früher oder später kommen mußte und nun eine historische Marke im Medien-Cross-Over gesetzt hat. In den Augen der Comic-Fans hat das Stiefmüttchen-Medium „Comic“ so mit einem viel mehr anerkannten Medium gleichgezogen – hin in Richtung gesellschaftlicher Akzeptanz. Letztlich ist „Kick Ass“ Teil einer modernen Welle der Dekonstruktion amerikanischer Comic-Stereotypen und vermutlich – sofern der Film die Industrie durch entsprechende Einspiel-Ergebnisse zu begeistern weiß – ein Triumph des Autors Mark Millar, der damit in seinem erzählerischen Revoluzzertum eine klare Bestätigung erhält andererseits aber auch nur einer von vielen ist, der mit exessiven Gewalt-Darstellungen sein Geld verdient.

Die Anfänge: Superman und Batman als Gründerväter
Um zu verstehen, worum es geht, ist eine kleine Zeitreise zu den Anfängen der Superhelden-Comics notwendig. Die Zeitrechnung der Superheldencomics beginnt in den 1930er-Jahren: 1932/1933 entstand der Charakter „Superman“, 1939 „Batman“. Wie erinnern uns an diese archetypischen Helden des Verlages DC, damals noch „Detective Comics“, deren Konzeption zunächst eine Blaupause für einen bestimmten Teil der nun folgenden Superhelden darstellte. Beide Superhelden haben eine bürgerliche Existenz: Der eine, Superman, als Reporter Clark Kent, der andere, Batman, als Millionär und Lebemann – und niemand weiß aufgrund dieses Doppellebens mit der Tarn-Identität, dass sie „nebenbei“ Superhelden sind, die Stadt und Land vor Katastrophen und Verbrechen bewahren wollen. Dabei verfügt Superman tatsächlich über übermenschliche Kräfte, während Batman relativ normale Fähigkeiten hat, diese jedoch durch technische Innovationen wie das „Bat-Mobil“, das fahren, fliegen und tauchen kann, ausgleicht.

Verehrung der gebrochenen Helden
Bruce Wayne, das Alter Ego von Batman, hat seine Eltern bei einem traumatischen Raubüberfall verloren und versucht nun als Rächer gegen die Gewalt auf den Straßen anzugehen. Superman ist ein Außerirdischer, der nicht nur seine Eltern auf einem weit entfernten Planeten zurücklassen mußte, sondern seinen ganzen Heimatplaneten verloren hat, der einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen ist. Beide Charaktere tragen also als erzählerisches Grundrauschen bereits eine tragische Note in sich, die die strahlenden Charaktere als Sinnbild eines starken Amerika unterschwellig bricht. Gerade Batmann mutierte innerhalb der Jahrzehnte vom Helden zum zwiespältigen dunklen Charakter. Die 1970er Jahre waren diesbezüglich, was Realismus und Gewalttätigkeit anbelangt, nicht nur in der Comicwelt sondern auch in Unterhaltungsroman, Fernsehen und Kino prägend. Manche der Storys aus dieser Phase haben einen zum Teil sozialen, sozialpolitischen oder gar politischen Anspruch. Dennoch blieb die Essenz des Helden als vom Comicleser ernstzunehmender Identifikationsfigur unangetastet.

Zwischen Allmacht und Ohnmacht: Die Superhelden im Zwiespalt
Der Marvel-Verlag variierte diesen Topos und schraubte ihn zu einer anderen Qualität hoch. Der Marvelheld befindet sich im Zwiespalt: Ob nun „Hulk“, ein Wissenschaftler, der sich in ein muskelbepacktes Monstrum verwandelt, wenn er sich aufregt und so Schwierigkeiten hat, seine Liebe zu leben, oder Peter Parker alias „Die Spinne/Spiderman“, ein bebrillter, leptosomer Student, der sich durch den Biss einer radioaktiv mutierten Spinne in einen Über-Menschen mit Spinnen-Fähigkeiten verwandelt, ob „Der Dämon/Daredevil“, ein blinder Rechtsanwalt, der aufgrund einer Verstrahlung bei einem Verkehrsunfall mit einem Gefahrgut-Transporter Fähigkeiten entwickelt, die seine Blindheit ausgleichen, ob „Thor“, der zwar ein Gott aber auf der Erde eigentlich ein gehbehinderter Arzt ist, oder „Die fantastischen Vier“, die nicht nur fantastische Fähigkeiten haben sondern auch übermenschlich neurotisch werden und sowohl als Einzelwesen unter ihrer Befähigung leiden als auch als Gruppe öfter mal austicken. All diese Marvel-Charaktere und viele andere mehr vereinigen den hilflosen, an Minderwertigkeits-Komplexen leidenden Menschen mit den Möglichkeiten des Superwesens. Aus dem Zwiespalt, der zwischen Mangel auf der einen Seite und der übermäßigen Befähigung auf der anderen Seite erwächst, schöpfen diese „Helden“ ihr Identifikations-Potenzial, das in aller Regel männliche Jugendliche anspricht. Die Kunstfiguren erhalten damit eine fast menschliche Dimension. Dass dahinter allerdings wenig mehr als eine Verkaufsmasche steckt, ist die andere Seite der Medaillie. Denn man könnte die Helden auch so skizzieren: Sie sind Loser im normalen Leben und hadern mit ihren Fähigkeiten – die ideale Projektionsfläche für Loser im wirklichen Leben.

Fluchtverhalten: Der Comic-Leser als Eskapist
Daher kommt es, dass Comicleser traditionell nicht für voll genommen werden. Die Funktion dieser Comicabenteuer ist dieselbe, wie die von Trivialromanen: Die Erzeugung einer Fluchtwelt, die über Identifikations-Mechanismen, den Leser abhängig macht. Tatsächlich findet sich für jede Eigenschaft in der realen Welt – zum Beispiel behindert zu sein, schlecht auszusehen, innerlich deformiert zu sein – eine Entsprechung in der Superheldenwelt. Um den jugendlichen, männlichen Leser nicht zu beschämen, wurde das Thema „Sexualität“ traditionell ausgespart, wobei im Laufe der Jahre die Superheldin und die Superschurkin bezüglich ihrer sekundären Geschlechtsmerkmale im Gegenteil übersexualisiert dargestellt wird und es auch normale Beziehungen zwischen Superhelden gibt. Dennoch bleibt die dort gezeigte Welt eine unrealistische, eskapistische Traumwelt.

Leben in der konsistenten Parallel-Welt
Oft wird im Zusammenhang der Marvel-Comics vom „Marvel-Kosmos“ gesprochen. Dies hat damit zu tun, dass Marvel aber auch DC versucht haben, die verschiedenen Heftserien mit ihren Charakteren zu einer zusammenhängenden erzählerischen Welt zu verbinden, die folgerichtig, einheitlich und in sich nachvollziehbar bleibt. Man könnte aus heutiger Sicht sagen, dass es ein durchgängiges erzählerisches Konzept gab, eine Art Comic-Welt-Corporate-Identity.

Die expandierende Welt der Superhelden-Comics
Da diese erzählte Comic-Welt immer umfangreicher wurde, es immer mehr Superhelden und Superschurken gab, immer neue Serien entstanden, gab es eine natürliche entropische Tendenz: Alles strigent durchzuhalten war schwierig, gerade, weil die Hefte regelrecht am laufenden Band getextet und gezeichnet wurden, weil immer mehr Zeichner und Autoren die Storys weiterentwickelten. Es gab des Bestreben einer konsistenten Erzählwelt, in der für alle Akteure die gleichen erzählerischen Regeln galten. Und ein Held hinterfragte sich niemals grundsätzlich. Er konnte sich zwar sein Hirn zermartern, wegen privater Probleme, auch wegen seines absonderlichen Superheldentums, das ihn von der normalen Welt isolierte, doch das postmodernistische Infragestellen und nicht mehr so ganz Ernstnehmen der Superheldenrolle, das später ab den 80er Jahren kam, gab es damals noch nicht. Um das vorweg zu nehmen: Autoren wie John Byrne, Alan Moore, Grant Morrision oder eben Mark Millar interpretierten Charaktere um – brachen mit der erzählerischen Kontinuität, unter Umständen soweit, dass die neuen Geschichten nicht mehr zu den alten passten. Das wurde von den Fans kritisiert, brachte aber frischen Wind in die Storys.

Den Helden eine lange Nase gezeigt: Underground- und Porno-Comics
Was es gab, waren Hardcore-Porno-Persiflagen klassischer Comichelden, die aber nur unter der Ladentheke gehandelt wurden und so genannte „Underground-Comics“, die als Bestandteil der Alternativ-Kultur alles und jeden durch den Kakao zogen, auch die Superhelden. Gerade die „Underground-Comics“ entwickelten ab den 60er Jahren parallel zu den immer monströseren Fähigkeiten der Superhelden eine Art kritischer Gegenwelt, die Klischees und Schemata teils sehr deutlich an den Pranger stellte. Richard Corben zum Beispiel, der damals noch Underground-Comics machte, bevor er zu den etablierten Comics wechselte und schließlich selber Superheldencomics wie „Hulk“ oder „Punisher“ zeichnete, hat in einer frühen, kleinen Geschichte „Magnus, der Roboter-Kämpfer“ aufs Korn genommen. Magnus, der Science Fiction-Held, der in der Originalserie reihenweise Roboter ausschaltet und ihnen im Kampfeinsatz oft die Gliedmaßen abschlägt, wird hier zum dumm-neurotischen Helden, der schließlich im Krankenhausbett aller Gliedmaßen beraubt endet. Seine Freundin ist mit dem Roboter zusammen, der dies angerichtet hat, und in jeder Hinsicht mit ihm als neuem Mann in ihrem Leben zufrieden.

Das Antlitz des Helden kommt dem Leser ganz nah, die Identifikation in einem psychologisch realistisch erzählten Sourrounding wird möglich (Copyright: Marvel Comics, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Panini-Verlages).

„Watchmen“ und „The Dark Knight“: Zwischen Moderne und Postmoderne
Die Superhelden-Comics der 60er Jahre mit ihrer zwar eindeutig trivialen Ausrichtung aber einer differenzierteren Charakter-Zeichnung und mit der Thematisierung von „Rassismus“, „Drogen“, „Religion“, „Armut“ oder „Überwachungsstaat“ waren die Moderne der Comichefte, während die Postmoderne zwischen den 70er und 80er Jahren begann. Anfang der 80er-Jahre nämlich entstanden relativ zeitgleich mit „Watchmen“ und „The Dark Knight“ zwei Comic-Mini-Serien, die alles auf den Kopf stellen sollten, wofür Superhelden-Comics bis dahin standen. „Watchmen“ wird aus der zeitlichen Perspektive erzählt, in der eine Gruppe von Superhelden ihren Zenit überschritten hat und alt geworden ist.

Überwindung der rein eskapistischen Funktion
Schon ab den 60ern befand sich der Superheld im Zwiespalt zwischen Rechts-System und Eigenmächtigkeit. In den Anfängen der Superhelden war deren Hauptproblem, die Bösewichte zu besiegen und hinter Gitter zu bekommen. Ab den 60ern kam mit dem Psychologisieren und dem Problematisieren der Lebenswirklichkeit eine weitere Ebene hinzu. Ab den 80ern schließlich war es möglich, nicht nur den Menschen und sein Wirken in der Geschichte zu durchleuten sondern auf einer dritten Ebene seine Rolle als übermächtiger Held bzw. sogar als nicht wirklicher Comicheld in Frage zu stellen. Die Comics hatten damit ihre ausschließlich infantil-eskapistische Ebene überwunden.

Unterhalten und hinterfragen zugleich
Die Geschichte der Superhelden-Comics als Teil der Unterhaltungs-Kultur hat sich seitdem in zwei Richtungen vollzogen: Zum einen ging es normal weiter in dem Teil der Superhelden-Comics, die ausschließlich infantil sind und sich an eine meist jüngere Zielgruppe wenden, zum anderen der eigentlich postmoderne Superheldencomic, der augenzwinkernd erzählt. Dazu gehört zum Beispiel eine Antihelden-Figur wie „Lobo“, der humorvoll-abgedreht alles in Frage stellt, was sich in Frage stellen läßt. Der Held spaltet sich quasi auf: Er weiß, dass es an sich lächerlich ist, im Kostüm durch die Gegend zu stapfen, andererseits vollzieht sich trotz dieses Wissens ein Identifikationsprozess des Lesers mit der Figur, weil Ratio und Gefühl auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen werden.

Detailliertere Zeichnungen sucht man bei Kick Ass meist vergeblich. Wenn man sie findet, sind sie wenig liebevoll ausgeführt. (Copyright: Marvel Comics, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Panini-Verlages).

Größenwahn und Pessismismus
Der Superhelden-Comic war ursprünglich ein Sinnbild amerikanischer Stärke, Ausdruck von Patriotismus und hemmungslosem Größenwahn, bei alledem aber auch ein Ausdruck von Hoffnung in einer korrupten und verkommenen Welt. Später, in den Zeiten, als die Helden selbstkritischer wurden und die Welt hinterfragten, wurde auch das Weltbild pessimistischer und hoffnungsloser, vor allem in den 70er Jahren.

„Watchmen“: Höhepunkt der Vielschichtigkeit
Autor Alan Moore und Zeichner Dave Gibbons schufen mit „Watchmen“ ein vielschichtiges und erzählerisch für eine Comic-Heft-Mini-Serie ungewohnt komplexes Szenario. Die Helden sind hier reaktioär-gewalttätig, korrupt und kriminell. Während Autor und Zeichner Frank Miller in „The Dark Knight returns“ schnörkelloser und klassischer erzählte und einen Tabubruch betrieb, indem er die National-Heiligtümer „Superman“ und „Batman“ in einem blutrünstigen Kampf gegeneinander antreten ließ, dekonstruierte Moore in „Watchmen“ seine Helden Schicht um Schicht und spielte mit dem Identifikationswillen des Lesers im Fortgang der Geschichte, bis er nichts mehr übrig ließ, mit dem noch eine Identifikation möglich gewesen wäre.

Ent-Trivialisierung: Reduktion der Projektionsfläche
Beide Werke entziehen sich weitestgehend den klassischen Trivialmustern und sind von Ernsthaftigkeit geprägt. Sie wirken wie eine Abrechnung von zwei reifen Autoren mit dem Medium „Superhelden-Comic“ und seiner bisherigen naiven Arglosigkeit. Beide Werke sind hoch dekoriert und waren auch kommerziell über die Maßen erfolg- und einflußreich.

Meta-Comics: Auseinandersetzung mit dem Medium
Moore und Miller haben Werke geschaffen, die als Meta-Comics zu verstehen sind, die sich sehr konkret mit den Ebenen der Trivial-Identifikation und fast schon literarisch-ernsthaft erzählen. Frank Miller hat des öfteren das Thema von Realität und Fiktion im Comic thematisiert. Sein eindrucksvollstes Werk ist der Science-Fiction-Comic „Ronin“, in dem die gesamte Handlung eine Imagination ist. Das letzte Bild in dieser Serie, das ein großes Aufklapp-Panorama-Poster ist, kann als einer seiner zeichnerischen Höhepunkte gelten. In „Hard Boiled“ (zusammen mit Zeichner Geof Darrow) ist der Held ein Roboter, dem mit großem Aufwand suggeriert wird, er sei ein Mensch. Die Gewaltdarstellungen in dieser Miniserie sind dermaßen überzogen, dass der Verfremdungseffekt außergewöhnlich ist. Trotzdem funktioniert dieser Comic ebenso wie „Ronin“ auch als reine Unterhaltung, ist also von sehr unterschiedlichen Lesern rezipierbar. Im Band „Bad Boy“ (zusammen mit Zeichner Simon Bisley) wacht ein Junge permanent auf und muß die Geschichte immer und immer wieder neu durchleben. In den zwei Heften um Big Guy and Rusty the Boy Robot trifft formal die Welt der alten Comics der Prä-Moderne auf die der Post-Moderne. Andererseits hat Miller mit „300“ einen klassisch-unreflektierten Comic geschaffen und mit „Sin City“ sogar einen sinnfreien Retro-Comic in Pulp-Manier.

Der lange Schatten von „Watchmen“ und „The Dark Knight“
Der Einfluß von „Watchmen“ und „The Dark Knight returns“ war unvergleichlich und beeinflußte das Geschichten-Erzählen in den Comic-Books, die danach kamen. Beispiele für diesen Einfluß sind ein langgestreckter Zyklus in den „X-Men“-Comics, das seine filmische Entsprechung im „X-Men II“-Kinofilm fand: Die Internierung und Ausmerzung der Mutanten wegen deren Superkräften, die sich als Parabel auf politisch reaktionäres Verhalten gegenüber Andersartigen lesen läßt. Auch dieser Erzähl-Inhalt weist über die üblichen Superhelden-Schemata hinaus. Mark Millar schuf zusammen mit Zeichner Steve McNiven dann der „Civil-War“-Zyklus: Hier teilt sich die Schar der Superhelden in zwei Lager, die sich bekriegen. Es geht um eine grundlegende Kontroverse um die Rechtmäßigkeit der Registrierung von Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten, um die Eskalation von Gewalt und De-Eskalation. Der Serie war ein immenser Verkaufserfolg beschieden, die Machart waren klassische Superhelden-Schemata aber durchdrungen von ernsthaften  Dialog-Situationen, die von eimner realistischen Charakterzeichnung geprägt war. Der Subtext nahm Bezug auf die realen Entwicklungen in Amerika wie die Einrichtung der Heimatschutz-Behörde und das vorauseilende latente Mißtrauen. Sehr spannend war das ganze dabei auch noch. Millar hat damit an „Dark Knight“ angeknüpft und bewiesen, das auch Superhelden-Comics relativ anspruchsvoll sein können. Nebenbei lieferte Zeichner McNiven mit diesem Werk sein bestes Artwork ab.

Der Superheld als Manövrier-Masse
Aber Millar ging noch weiter und damit sind wir nach einem großen Bogen bei „Kick Ass“. In dieser Comic-Book-Mini-Serie nämlich nahm er eine letzte Bastion: Er stellt den Superheld in Frage, indem er den Leser in Frage stellt. In „Kick Ass“ geht es um den üblichen bebrillten Schüler – so ähnlich wie Peter Parker alias „Spiderman“ einer war – der aber diesmal keine Superkräfte hat oder noch bekommt, sondern zunächst wie ein Dummchen im Superhelden-Kostüm erscheint, das sich lächerlich macht. Millar kratzt damit an einem weiteren Tabu: Nachdem der Superheld schon seiner Ernsthaftigkeit beraubt worden war, sind nun der Leser und sein Selbstverständnis dran. Ein weiter Weg von der Infantilität der Anfangstage, über die selbstzerfleischerische Phase in den 70ern und die Comic-Postmoderne, die in Miller‘s und Moore’s Werk ihren Niederschlag fand.

Designmäßig und illustrativ fast das beste Teil an Kick Ass: Das Cover. (Copyright: Marvel Comics, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Panini-Verlages).

Anspruch gepaart mit Gewalt und Blut
Mark Millar hat es äußerst gewalttätig und bluttriefend geschafft, etwas Neues zu bringen. Nachdem sein Comic „Wanted“ bereits verfilmt worden war, hat er es nun erreicht, dass sein Comic während der Publikation parallel verfilmt wurde. Ein neuerliches Zeichen dafür, welchen Stellenwert Hollywood Comic-Szenarien inzwischen beimißt: Der Comicautor nicht mehr nur als Comicautor, sondern aufgewertet als Lieferant für zeitgemäße Blogbuster-Kino-Plots. Dass der „Watchmen“-Film von „300“-Erfolgsregisseur Zack Snyder vor dem erzählerischen Komplexität des Comics mit seinen zahlreichen Binnenhandlungen kapitulieren mußte, dass die meisten anderen Verfilmungen ebenfalls eher zum Abgewöhnen sind, spielt dabei keine Rolle, wenn die Kasse klingelt. Positivbeispiele für gelungene Umsetzungen sind „Sin City“, beide „Hellboy“-Teile oder die ersten beiden „Batman“-Filme sowie der letzte „The Dark Knight“ von Christopher Nolan, mit dem Frank Miller allerdings nichts zu tun hatte.

Wie weit geht „Kick Ass“?
Was hat „Kick Ass“ zu bieten? In den USA ist „Kick Ass“ als achtteilige Comic-Book-Mini-Serie erschienen. Hier in Deutschland werden die zu zwei Sammelbänden zusammengefasst. Die Story im ersten Band ist gradlinig und schnörkellos erzählt, sie wirkt durchdacht und sehr folgerichtig, damit glaubwürdig und spannend. Was auffällt ist, dass Autoren heute in vier Hefte packen, was früher gerade mal für ein Heft gereicht hätte. Das war schon bei den Frank-Miller-Projekten „Dark Knight Returns“ und „All Star Batman“ (zusammen mit Zeichner Jim Lee) auffällig – ist aber auch generell die Tendenz. Dafür werden bei „Kick Ass“ die Charaktere schön entwickelt und bleiben deshalb nicht eindimensional. Es hätte aber etwas mehr passieren können auf den ersten 100 Seiten, die diesen ersten Band ausmachen.

Fließband-Arbeiter John Romita jr.
Das, was von den 60er bis zu den 70er Jahren Jack Kirby und John Buscema waren, die überproduktiven Unendlich-Zeichner, das ist John Romita jr. danach geworden: Der vermutlich meistbeschäftigste Zeichner weit und breit. Um den Preis, dass das meiste, was er geschaffen hat, alles andere als gut gezeichnet ist. Der vorliegende Band ist von John Romita jr. mit Bleistift vorgezeichnet und von Tom Plamer sr. uninspiriert getuscht. Tom Palmer sr. war mal einer der besten Tuschzeichner der Superheldencomics. Er hat einen „Die Rächer“-Zyklus und einen „X-Men“-Zyklus von Neal Adams getuscht. Neal Adams hat in den 70er Jahren den zeichnerisch gekonnten Realismus in den Comic-Heften begründet und ist ein maßgeblicher Einfluß für die perspektivische Darstellungen von menschlichen Körpern gerade in Action-Sequenzen, außerdem für die Strichtechnik und Linienführung moderner Zeichner geworden. Die von Tom Palmer sr. verfeinerten Vorzeichnungen Adams‘ sind dessen beste Superhelden-Arbeiten überhaupt. Außerdem ist Palmer bekannt geworden als Tuscher von Gene Colon bei der „Dracula“-Serie. Außerdem hatte Palmer auch zusammen mit John Byrne an den „X-Men“ gearbeitet, eine äußerst schön getuschte Phase der Superhelden-Comics. Palmer war in seinen besten Tagen ein sehr filigraner und einfühlsamer Tuscher, der das Artwork durch eigene Ergänzungen und Detaillierungen aufwertete. Davon ist jetzt nichts mehr zu spüren. Palmer ist Jahrgang 1942 und vermutlich, wie so viele andere und wie auch John Romita Junior, ausgebrannt. Die Tuscharbeit in „Kick Ass“ ist zum Teil sogar handwerklich unzureichend. Romita hatte immer ein Händchen dafür, Charakteren eine griffige Eingängigkeit zu geben, das Typische, sogar das Archetypische herauszuarbeiten. Sehr ideenreich oder liebevoll war er dabei diesmal aber nicht. Der Comic ist zum Teil gewalttätig wie ein Splatter-Film, die Regie des Comics langweilig, die Nebenfiguren nachlässig ausgearbeitet. Ein Glück, dass der Film nicht gezeichnet ist.

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