Augsburgs Bischof Walter Mixa hat gestern zum ersten Mal zugegeben, dass ihm mal die Hand ausgerutscht ist. Wie rutschig es genau war, ist umstritten und muss noch geklärt werden. Rutscht jetzt der Bischoff selbst auf dieser seiner Aussage aus?
Gestern war ein Tag der Klarheit. Bischof Walter Mixa, der von 1975 bis 1996 als Stadtpfarrer in Schrobenhausen gewirkt hatte, hat endlich zugegeben, in seiner Zeit im Kinderheim St. Josef zugeschlagen zu haben. Dass er dies einräumte, ist wohl nur dem Druck der Dinge zu verdanken. Ein erstes Teil-Gutachten über die Zustände im Kinderheim, das in einer Pressekonferenz vom Sonderbeauftragten des Kinderheims, Rechtsanwalt Sebastian Knott, vorgestellt werden sollte, hatte Druck auf den Bischof ausgeübt. Zudem war ihm nahegelegt worden, im eigenen Interesse lieber vor der Pressekonferenz die Wahrheit zu sagen.
Eine schlagkräftige Argumentation
Vorher hatte ein ehemaliges Heimkind eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, von Mixa geschlagen worden zu sein, der hatte nicht nur das bestritten, sondern verneinte generell, körperliche Züchtigungen an Schülern vorgenommen zu haben. Nun hat er gestern eingeräumt, geohrfeigt zu haben und damit das Gegenteil von dem gesagt, was er vorher behauptet hatte. In der „Bild am Sonntag“ hatte er noch zu Ostern proklamiert, er lehne „Gewalt zwischen Menschen […] grundsätzlich ab.“
Skandal häuft sich auf Skandal
Andere Ereignisse befeuern diese Lage: Erst nimmt der Papst die Exkommunizierung von Bischof Williamson zurück, angeblich, um mit einer versöhnenden Geste wieder auf diesen und die Pius-Bruderschaft zuzugehen, dann macht Williamson wieder Schlagzeilen als der übliche Holocaust-Leugner. Er wurde gestern wegen Volksverhetzung vom Amtsgericht Regensburg zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt. Schließlich wird ruchbar, dass ein französischer Kardinal die Verschleierung einer Vergewaltigung gut geheißen hat. Man denkt dabei an die Zeiten der Inquisition zurück, als die katholische Kirche für das Schlechte und Böse in der Welt stand.
Eine kleine Liste weltlicher Verfehlungen
Was bedeutet das nun für die katholische Kirche der Jetzt-Zeit, die im Zentrum eines Mediengewitters steht? Zum einen zeigt sich das Ungeschick von Militär-Bischof Mixa, der in der Nachfolge von Bischof Dyba steht und es diesem in provokativen Reden gleichtun will, dabei aber weder von Glück noch von Können im Umgang mit der Medienöffentlichkeit begleitet wird. Ob er die sexuelle Revolution für die Mißbrauchsfälle verantwortlich macht, Bundesministerin von der Leyen wegen der Einführung flächendeckender Kinder-Tagesstätten-Plätze kritisiert, weil dies Frauen ihrer Funktion als Mütter beraube und sie zu Gebärmaschinen degradiere, oder ob im Jahr 2001 400.000 Euro in Mixas Handgepäck auf einem mazedonischen Flughafen peinliche Fragen aufwerfen – oft wandelt der Kirchenobere von Fettnapf zu Fettnapf. Dazu passt, dass der jetzige „Ohrfeigen“-Skandal gekoppelt ist mit finanziellen Unregelmäßigkeiten in der Zeit Mixas im Kinderheim St. Josef. Die Möbel und Antiquitäten, die vom Geld des Heims gekauft worden sind, aber in den Besitz kirchlicher Einrichtungen gewandert waren, sollen laut. Mixas Aussage 2000 wieder zurück an den eigentlichen Bestimmungsort im Kinderheim geschafft worden sein.
Wer vertraut der Kirche, wenn sie nicht vertrauenswürdig erscheint?
Es zeigt sich zudem eine menschliche Überforderung, zu den eigenen Taten zu stehen. Man wird unversehens zurückgeworfen auf die hässliche Fratze jener Weltlichkeit, die doch die katholische Kirche als Hüter von Moral und Ethik transzendieren müßte; denn all die Kirchendiener, die dem Mißbrauch frönen und all jene, die dies geflissentlich vertuschen, sind nicht anderes als: Menschen. Sie sind fehlbar und werden offenbar stark vom Bösen frequentiert, genauso wie Lieschen Müller um die Ecke. Vielleicht ist das das Berufsrisiko eines Kirchendieners, es bedeutet aber nach außen hin und vor allem über die Medienhölle vervielfacht eine Entzauberung der Institution Kirche, eine Profanisierung des göttlichen Auftrages, für die diese Institution als Mittler zwischen Gott und dem Gläubigen eigentlich stehen sollte. Sein Seelenheil vertraut man nicht irgendjemandem an.
Kirche und weltliche Gerichtsbarkeit
Jene Kirchendiener unterliegen als simple Menschen, die zwar aus dem Heiligen Geist schöpfen, der weltlichen Gerichtsbarkeit. Sie zu decken und nicht anzuzeigen ist Strafvereitelung oder sogar Mittäterschaft – letzteres, sofern nicht juristisch wegen Verjährung oder aus Mangel an Beweisen ermittelbar, dann aber moralisch. Der Begriff der „Moral“ wirkt unter diesen Voraussetzungen fast anachronistisch. Möchte man diesen Begriff in Zeiten der wahrhaftigen Aufdeckung von Verlogenem überhaupt noch in den Mund nehmen?
Aus heiterem Himmel auf der Erde aufgeschlagen
Die moderne Kirche scheint durch Aufdeckung des weltumspannenden Missbrauchs-Skandals in der simplen Weltlichkeit der Realität angekommen zu sein. Denn dieser Skandal ist auch bezüglich seiner menschlichen Verantwortlichkeiten komplex und doppelbödig: Im Vordergrund stehen die Mißbrauchs- und Gewalt-Delikte. Wer als Gläubiger daran nicht verzweifelt, der ist sprachlos angesichts der systematischen Vertuschung der Fälle, angesichts der Kaltherzigkeit dieser Institution „katholische Kirche“, die gegenüber Opfern Rechtsanwälte zum Teil die Vorgänge bestreiten läßt, die vorrechnet dass der geringe Prozentsatz der Anzahl der Mißbrauchsfälle deren Schwere relativiere oder der sagt, wie Bischof Walter Mixa das getan hat, Ohrfeigen seien keine Gewalt im eigentlichen Sinne. Wer noch geglaubt hatte, Kirchendiener seien potenziell die besseren Menschen, schlägt doppelt hart in der Wirklichkeit auf und wendet angesichts der Tatsachen unter Umständen der Kirche den Rücken zu.
Wer braucht die katholische Kirche?
Wobei die in Zeiten der Trivialisierung der Wirklichkeit und in Zeiten der Mechanismen der totalen Entfremdung eine Renaissance durch eine Erneuerung erleben könnte. Nun aber steht die Kirche selbst am Pranger. Der Glaube, in dem Katholiken ihr Seelenheil verortet wähnen, kommt unter die Räder der weltlichen Realitäten. Kirchenkritiker haben nie daran geglaubt, dass Kirchendiener die besseren Menschen sind, aber wie soll man jemandem seine kleinen Sünden beichten, der potenziell Schreckliches begangen hat oder zumindest verunsichernd dafür stehen könnte?
Wer sehr geglaubt hat, ist jetzt sehr erschüttert
Es geht also darum, dass die, die am meisten geglaubt haben, nun besonders erschüttert sein müssen. Sie verlieren ihre religiöse Orientierung und kommen vielleicht zurück auf einen ganz individuellen, ent-institutionalisierten Glauben, den Glauben an einen ganz persönlichen Jesus. Die Institution der katholischen Kirche in ihrer jetzigen Verfilzung wird jedenfalls wie lange nicht mehr in Frage gestellt.
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