Wir hören dieser Tage permanent von Missbrauch, von Gewalttätigkeit in kirchlichen Schulen. Wir erleben mit, wie an die Oberfläche kommt, dass sich auch Schüler untereinander gequält und gefoltert haben. Im Moment verdichtet sich das in Gestalt der anerkannten Odenwaldschule.
Mir fällt dazu im Augenblick das Buch von Robert Musil „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ ein, das 1906 als sein Erstling herauskam und wie eine Vorahnung des autoritären Charakters, der den Nationalsozialismus bedingte, erschien. Über hundert Jahre alt ist dieses Buch und vor dem Hintergrund der Vorgänge an katholischen Schulen aktueller denn je; denn darin geht es um Schüler in einem Internat, die einen anderen Schüler quälen, foltern und auch sexuell missbrauchen, um ihn zu demütigen.
Strukturelle und physische Gewalt
Die Mechanismen der Machtergreifung über einen Menschen und der physischen wie strukturellen Gewaltausübung innerhalb eines Gruppengefüges werden hier nachvollziehbar dargelegt. In solchen Fällen zeigt sich der Vorteil der Fiktionalität eines Romans, weil das Werk in diesem Fall anschaulicher als jede Reportage die Wirklichkeit abbildet.
Pflichtlektüre um die Missbrauchsfälle in den Internaten zu verstehen
Deshalb empfehle ich „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ als Pflichtlektüre vor allem auch für jeden, der in kirchlichen oder Internats-Zusammenhängen „das Böse“ verstehen will. Musil zeigt sich darin – fast unnötig zu erwähnen – als realitätsnaher Autor, der wie kaum ein anderer in seinem Werk dem menschlichen Wesen nahe gekommen ist. Seine Dichtung durchleuchtet in diesem Fall die Mechanismen der Abgründe hinter der Normalität.
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