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NRW-Wahlkampf (1): Die CDU malt Rüttgers in Schwarzweiß

Lächeln war gestern: Jürgen Rüttgers, NRWs amtierender Ministerpräsident, blickt hart und scheinbar unverstellt, realistisch anstatt visionär in die Zukunft.

Bin auf dem Weg in die Innenstadt von Gelsenkirchen, Ortsteil Buer. Mir gegenüber seh‘ ich Wahlplakate. Aha. Jürgen Rüttgers, mein Landesvater sieht mich von einem Bild auf einem Wahlplakat ungewohnt ernsthaft an. Es müssen wohl bald Wahlen sein. In der Tat: Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen hat begonnen. Am 9. Mai ist die Wahl, zu der 13,5 Millionen Wahlberechtigte zugelassen sind.

Das Ungewöhnliche an diesem Wahlplakat ist auch, dass es schwarz-weiß und zudem sehr grobkörnig fotografiert ist. Man kennt das aus Magazin-Reportagen. Die Grobkörnigkeit signalisiert Realitätsnähe, das kommt daher, dass die Fotojournalisten, um nicht bemerkt zu werden, bei schlechten Lichtverhältnissen ohne Blitz und mit sehr lichtempfindlichen Filmen arbeiten müssen. Je lichtempfindlicher ein Film, desto grobkörniger. Bei Wahlplakaten ist das Mache. Es wirkt dramatisch und wie aus dem Leben gegriffen. Ein grobkörniger Politiker will immer sagen: „Ich bin ehrlich.“ Wobei gerade das die größte Unwahrheit ist, die ein Politiker von sich geben kann.

Harte Wahrheiten als Schein-Realitäten
Auf den beiden anderen Plakaten der Konkurrenz-Parteien in meinem Blickfeld sehe ich zweimal Farbfotos mit lächelnden Gesichtern. Hier, bei der CDU, aber eben nicht. Das Rüttgers-Plakat ist kein Schön-Wetter-Plakat. Es ist eines, das hart-realistisch rüberkommt. So ähnlich wie wenn Dir Dein Finanzberater sagt: „Sie sind pleite“ und dabei natürlich nicht lächelt. Oder wenn Dir Dein Arbeitslosenberater sagt: „Ich habe keinen Job für Sie, Sie sind schwer-vermittelbar“ – auch wieder ohne relativierendes Grinsen. So meint das auch die CDU: Das leicht skeptische, vielleicht verhalten-zuversichtliche Gesicht des Ministerpräsidenten sieht in die Zukunft, scheint die Probleme, die er da sieht,  aber diesmal nicht wegzulächeln wollen. Wäre es kein Wahlkampf-Plakat, würde man meinen, das könnte seriös und authentisch sein.

Blindheit in Zeiten der Nebelkerzelei
Das Schwarz-weiß sagt noch etwas Anderes: „Keinen Schnickschnack, nur die pure Wahrheit“. Es wird Bezug genommen auf die Macherqualitäten eines bewährten Politikers und seine Erfahrung. Das sei wichtig in Zeiten der Wirtschaftskrise, wird unterstellt. Nur eine kleine rote Farbfläche ist auf dem ganzen Plakat ist zu sehen, darauf steht: „Kompetenz entscheidet“. Man weiß, dass Rüttgers seinen Job jetzt seit 2005 macht, dass er die jahrzehntelange SPD-Herrschaft in Nordrhein-Westfalen brechen konnte. Er ist in Gesprächen schlagfertig und unnachgiebig, außerdem ist er durch eine beispielslose politische Wendigkeit aufgefallen. Wenn es sein mußte, war er sozialistischer als die Sozialdemokraten, und er kannte auch im eigenen politischen Lager keine Verwandten, war immer da, wenn es um markante Schlagzeilen ging, hat mehr politische Nebelkerzen gezündet als alle übrigen Ploitiker zusammen. Und vor allem: Waren die anderen politischen Kräfte der Hase so war er stets der Igel. Er war in den Medien der SPD gegenüber lange immer den entscheidenden Schritt voraus.

Der Bespitzelungs-Skandal als Intro für die „Meet a President“-Affäre
Das ist aber vorbei. Er hat einen gravierenden Fehler gemacht, indem er Hendrik Wüst zum NRW-CDU-Generalsekretär kürte. Der ließ erst die Oppositionsführerin Hannelore Kraft bespitzeln und sorgte damit für einen Skandal. Dann schrieb er Werbebriefe, in denen er für Gespräche mit dem Ministerpräsidenten warb, die den Gesprächspartner aber sehr viel Geld kosten sollten. Wüst mußte seinen Hut nehmen und Rüttgers konnte sich nicht mehr ganz vom Ruch befreien, irgendwie käuflich zu sein. Das hat sein Image als CDU-Ministerpräsident beschädigt. Inzwischen sind die politischen Kräfte links von CDU und FDP in NRW stärker geworden und es besteht die Möglichkeit, dass sie am 9. Mai die Mehrheit bilden könnten.

Jürgen Rüttgers als Kunstfigur
Das CDU-Wahlkampfteam formt auf den Wahlplakaten die Kunstfigur des ehrlich-realistischen Ministerpräsidenten. Einen, der nicht grinsend über die Verfehlungen der Vergangenheit hinweggeht, sondern sich ihnen stellt. Das bevölkerungsstarke Ruhrgebiet wurde unter Rüttgers stark gebeutelt. Da waren zunächst die lange währenden Diskussionen über die Kindergartengebühren, die vielen städtischen Nothaushalte, die mit zusätzlichen finanziellen Bürden belastet wurden, dann der Ruf jener Kommunen nach einer Gemeinde-Finanzierungs-Reform und deren Gang zum Bundesverfassungsgericht, schließlich der Streit um das Dattelner Kraftwerk, in dem die Landesregierung eine schlechte Figur gemacht hat und man ihr hätte nachsagen können, sie habe sich und die Gesetze dem Einfluß des Energieriesen EON gebeugt.

Politische Realitäten im Land der ungewollten Skandale
Die künstlichen Nebel sind inzwischen von kräftigen Winden verweht worden, die Sicht ist klarer geworden auf ein Bündel an Problemen, die ungelöst geblieben sind. Die politische Realität hat Jürgen Rüttgers und die CDU in Nordrhein-Westfalen eingeholt. Das Wahlplakat, das für den Kandidaten werben und ihn positiv darstellen soll, kann wenig mehr als diesem Umstand Rechnung zu tragen. Es zeigt, dass selbst im Wahlkampf manchmal Schwarz-Weiß-Malerei als Flucht nach vorn der einzige Weg ist, der noch bleibt, um realistisch zu wirken.

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