Eine erleuchtete Ausstellung geht zu Ende. Ab dem 6. April, wird aber das Hauptwerk der Ausstellung weiter gezeigt. Der amerikanische Licht- und Landart-Künstler James Turrell hat im Kunstmuseum Wolfsburg im Rahmen der Ausstellung „The Wolfsburg Project“ innerhalb der umfangreichsten in Deutschland gezeigten Werkschau unter anderem völlig leere Räume gestaltet, die nur mit Licht gefüllt sind. Das wirkt erhellend.
Tatsächlich liegt eine Verwandschaft zu einem anderen Ort der inneren Einkehr sehr nahe: Zu dem der Kirchen, die durch ihre Fenster Innenräume in Farben erstrahlen lassen und visuell transzendieren. Das kommt nicht von ungefähr; denn James Turrells Kunst ist religiös beeinflusst.
Licht-Land-Art
Die Zeiten, in denen die Träger einer künstlerischen Botschaft materiell sein mussten, sind nicht erst seit dem Leben am Computerbildschirm und virtuellen Kunstaktionen überholt. Neben Kunstaktion und -Installation sowie Crossover-Kunst setzen großräumig arbeitende Land-Art-Künstler, die ganze Landschaften zu Kunstobjekten umformen, andere Impulse. Turrell ist einer von ihnen. Er koppelt jedoch auf ganz eigene Weise in seinem Hauptwerk „Roden Crater“ Landart mit Lichtkunst.
Kunst als Lichtgestalt
Manche Kunst beeindruckt durch ihre Aussage, andere durch ihre Form. Turrell formt Landschaften und Räume um, verwandelt sie in Erfahrungsfelder für die Sinne. Dabei arbeitet er mit einem eindrucksvollen, kaum fassbaren und temporären Werkstoff: Mit Licht. Legt man den Schalter um, gehen zum Beispiel im für die Wolfsburger Ausstellung geschaffenen Licht-Erfahrungsraum auf 700 qm alle 30.000 Leuchtdioden aus, ist alles fort, was den Raum „Bridget’s Bardo“ ausmacht.
„Bridget’s Bardo“
Allein der Titel ist vielschichtig. Zuerst wirkt er wie ein simples Wortspiel als Verschmelzung des Namens der Schauspielerin Brigitte Bardot und dem Begriff „Bridge“ (Brücke). Im Tibetanischen Buddhismus bezeichnet „Bardo“ aber auch den Zeitabschnitt zwischen Tod und Wiedergeburt, in dem der Wiedererstehende Lichter sieht. Bedenkt man den streng religiösen Hintergrund Turrells als Mitglied der Quäker-Gemeinschaft, wird klar, dass das Transzendente in seinen Lichtwerken eine Rolle spielt.
Quäker: Der religiöse Hintergrund
Quäker sind eine Glaubens- und Kulturgemeinschaft, die viele Aspekte des modernen Lebens ablehnt, wie zum Beispiel die Konsumorientierung – so hat Turrells Familie Auto und elektrische Energie abgelehnt. Quäker leben ein ursprüngliches Leben, das auf seine essenziellen Grundlagen beschränkt bleiben soll, in denen der Mensch sich nicht entfremdet ist. Es geht um ein Leben, in dem Ursache und Wirkung aufs Engste miteinander verbandelt sind. James Turrell – in der Quäkergemeinschaft aufgewachsen – hatte sich in jungen Jahren von ihr distanziert, ist aber mit Mitte Vierzig wieder zu ihr zurückgekehrt. Seine Familie lehnt seine Kunst jedoch noch heute ab.
Begrüßung des Lichts
Seine Großmutter hatte zu Turrell – als er Kind gewesen war – wie in einem Mantra gesagt: „Begrüße das Licht in Dir.“ Man kann sich den Künstler als kleinen Jungen in der strengen Glaubensgemeinschaft vorstellen, dem es eine Freude war, das Sonnen-Licht in seiner wechselnden Farbigkeit und seiner Wärme zu spüren. Vielleicht eine Art visueller Luxus, eine kleine Attraktion für jemanden, der – gemessen an westlichen Großstadt-Standards – ein Leben mit wenig visuellen Reizen geführt hatte.
Elementar: Werkstoff „Licht“
Licht ist so essentiell für das Leben wie Essen, Trinken und Atmen. Die Selbstverständlichkeit des Lichts mag aber andererseits verblüffen. Hier setzt Turrell an, wenn er das Besondere der Lichtwirkung ins Zentrum seiner Kunst stellt. Zentral sind für ihn die Wahrnehmung von Licht – sowohl das Erspüren von Licht und intuitive Hineinfühlen in Licht, als auch seine bewußte Wahrnehmung. Licht in der Ausstellung „The Wolfsburg-Project“ bedeutet auch, sich seiner alt hergebrachten Orientierungs- und Wahrnehmungsfähigkeit zu entledigen. Ein Raum, der quasi nur aus Licht besteht, stellt Oben und Unten in Frage, scheint die Schwerkraft zu negieren und auf all das Gelernte, auf alle Erfahrungswerte zu verzichten, indem zum Beispiel seine Installation „Bridget’s Bardo“ dem Menschen, der an gelernte visuelle Orientierungsschemata gewöhnt ist, der Lichtwirkung ausliefert. Ein Lichtraum turrellschen Zuschnitts stellt alles in Frage. Das Gegenteil dieser sinnlich-sensorischen Erfahrung oder Nichterfahrung wäre es, blind in der Schwerelosigkeit zu schweben. Die beiden Gegensätze würden sich von ihrer Wirkung her vermutlich aufs Vortrefflichste annähern. Die Kunst Turrells ist interessiert am Gegensatz zwischen Innen und Außen, zwischen Oberfläche und Kern.
Die Dimensionen des Lichts
Licht ist vielfältig: Es wirkt auf die Psyche des Menschen ein, seine physikalischen Eigenschaften auf der Mittellinie der begrifflichen Vorstellungswelt zwischen Teilchen und Welle faszinieren, und Licht läßt den Betrachter überhaupt erst sehen; denn ohne Licht wäre die Welt natürlich dunkel. Ist es ein Zufall, dass Turrell drei Disziplinen studiert hat, die diese drei Eigenschaften des Lichts abbilden? Vor seinem Kunststudium hat er Studien der Psychologie und Mathematik absolviert.
Turrells Alleinstellung
James Turrell wirkt wie ein Solitär im Kunstbetrieb. Seine Arbeit steht unter einer besonderen Prämisse: Landschaftskunst als Herberge des Lichts. Im eigentlichen Sinne ist er Lichtkünstler, der Architektur in den unmittelbaren Dienst von Lichterfahrungen stellt. Er gestaltet Räume, wie jetzt in der Ausstellung in Wolfsburg, er steigt aber auch in das Innere eines alten, inaktiven Vulkans, hat ihn weiter ausgehöhlt und umgebaut – nur, um einen Ort zu schaffen, von dem aus man Licht betrachten, empfinden und wirken lassen kann. Sich nur vorzustellen, in solch einem Raum einen Tag lang zu verbringen und den Wechsel des Lichtes an einem spartanischen Ort, der keine Ablenkung bietet, zu beobachten, hat beinahe etwas Religiöses.
Das Hauptwerk „Roden Crater“
Wird in der Wolfsburger Ausstellung das Licht teils intensiv und flächig eingesetzt, wirkt der Lichteindruck im „Roden Crater“ – dem größten Landart-Projekt weltweit, das Turrell im vierten Jahrzehnt bearbeitet – zurückhaltend-natürlich. Turrell thematisiert dabei nicht nur das Licht in seiner Wirkung, sondern den Vorgang des tageszeitlichen Lichtwechsels. Es scheint, als wollte Turell die Flüchtigkeit seines Mediums „Licht“ ausgleichen durch eine monumentale Architektur. Der Gegensatz zwischen dem inmateriellen Licht und der schweren, erdverbundenen Architektur könnte größer nicht sein. Und das ist dann auch die Bandbreite des Künstlers: Fast poetisch verinnerlichend wirkendes Licht oder künstliches, das mit eindrücklicher Flächigkeit und Räumlichkeit deutliche Impulse setzt.
Lichterfahrungen: Fast ein Nichts oder weniger ist mehr
Man betritt im Museum einen Raum, in dem nichts ist außer Licht: Licht, dessen Farbspektrum moduliert und variiert wird, Licht das die Illusion von Räumlichkeit schafft. Das ist eine Konzeption, die es in sich hat, denn es geht dabei um nahezu das Nichts: Man kann sich an keiner Materialität orientieren, man kann nur neu sehen – in dem Bewußtsein, dass die Kunst als Kunstwerk nicht existiert. Es geht dabei an dieser Stelle auch nicht um kleinteilige Lichtobjekte, an denen man viele Details erkunden könnte. Turrells Licht ist großräumig. Wenn die Ausstellung vorbei ist, gehen die Lampen aus. Es bleibt nichts übrig. Bei anderen Installationen oder Kunstaktionen sind hinterher die Bestandteile oder Materialien greifbar. Man weiß, dass da etwas war, das man hätte berühren, mit seinen Sinnen hätte erfassen können: Man hätte es vielleicht sehen, hören oder taktil begreifen können. Nichts ist also so flüchtig und gleichzeitig so beeindruckend, so wandlungsfähig, so leuchtend und in seiner Farbintensität den Umstand verleugnend, dass da nichts Gegenständliches vorhanden ist. Wenn das Licht ausgeht, bleibt nur Dunkelheit.
https://www.youtube.com/watch?v=oANL6ZwCSP0
One Response to “Ausstellung „James Turrell: The Wolfsburg Project“ im Kunstmuseum Wolfsburg”
[…] Bardo“, wird bis zum 3. Oktober gezeigt. Die sonstige Ausstellung unter dem Titel „The Wolfsburg Project“ mit 30 Exponaten – Installationen, Grafiken, Radierungen und Fotografien – schließt am 5. […]