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Nu-Economy: Goldgrube Zahnstocher

So sieht eine Matte von 38 Zahnstochern aus. Im Grunde gebe ich mein ganzes Geld nur dafür aus. Ich hatte es bisher nur noch nicht bemerkt.

Die Weltwirtschaftskrise hat uns gelehrt, dass man schnell irrsinnige Summen wuppen kann. Aber warum ist ein Zahnstocher daran Schuld? Es entzieht es sich manchmal dem Blick, dass das ganz große Geld sich aus unsichtbaren Minibeträgen zusammensetzt. Milliarden mal 1 Cent addiert sich eben zu einer hohen Summe. Was mich also nachdenklich macht, ist also diese Quittung:

Jawoll! Ich habe für 228 Zahnstocher 5,50 Euro bezahlt, das sind ca. 2,4 Cent pro Zahnstocher. Wenn ich drei Zahnstocher pro Tag verbrauche und das 365 mal im Jahr mache, sind das verdammte 26,28 Euro pro Jahr. Und das für ein paar kleine Holzstäbchen. Okay, sie sind verminzt und ergonomisch-verjüngt geschnitten. Wenn aber nur tausend andere Menschen so paranoid bakterieophobisch veranlagt sind wie ich, wechseln schon 26.000 Euro den Besitzer. 26.000 Euro für nahezu ein Garnichts.

Wie Lebens-Paranoia die Sehkraft mindert
Man könnte weiterrechnen, weil es nicht nur verschiedene Sorten von Zahnstochern gibt, sondern auch noch Zahnseide, und es nicht um ein Jahreskontingent geht und nicht um tausend Käufer, sondern um jahrzehntelange Abhängigkeit vom Reinlichkeitswahn und um Millionen Käufer – allein in Deutschland. Wer will das auf die internationalen Märkte hochrechnen? Wer zählt die Milliarden Birkenholz-Stäbchen, wer misst immer neue Kilometer um Kilometer an Zahnseide?

Mit Wachs-Milliarden Wachstum generieren
Das Gedankenspiel ließe sich noch weiter fortsetzen: Bekannt ist, dass die Rohöl-Industrie von 1992 bis 2005 kartellrechtlich strafbare Absprachen bezüglich Paraffin getätigt hat. Paraffin ist der Grundstoff für die Produktion von Kerzen. Ja, tatsächlich: Es ging um läppische Preisabsprachen zum Beispiel bezüglich Teelichtern. Das klingt unbedeutend. Ist es aber nicht: Die EU hatte 676 Millionen Euro Strafgeld gegen die Beteiligten verhängt und hat den jährlichen Streitwert auf 500 Millionen Euro festgesetzt. Rechnet man das hoch, ging es in den 14 Jahren um einen kartellrechtlich manipulierten Umsatzwert von 7 Milliarden Euro. Und das für ein Produkt, das man nicht im Auge hat, weil es so klein, billig und unbedeutend ist – übrigens ein Abfallprodukt bei der Ölerzeugung. Auch ein Bonbon, eine Nudel oder ein Streichholz kosten einzeln so gut wie nichts.

Die Kraft des Unsichtbaren
Und so geht es immer weiter. Wir sind umgeben von kleinen Dingen, die uns im Gewand der Kostenlosigkeit heimsuchen, die pro Stück praktisch fast umsonst sind, in der Summe aber unglaubliche Umsätze generieren. Ein Blick in den Ein-Euro-Laden genügt.

Ordnung der Gedanken durch die Chaos-Theorie

Da steigt das Bild vom Flügelschlag des Schmetterlings in den Kopf, der sich gemäß der mathematischen Chaos-Theorie zu einem Sturm potenzieren kann. Es gab mal den solidarischen „Kohle-Pfennig“ zur Förderung des heimischen Kohleabbaus, der sich im Laufe der Jahrzehnte zur dreistelligen Milliardenbeträgen addiert hat. Es gibt die hässlichen Mehr-Cents an der Tankstelle, die paar Prozent mehr Steuern, die 10 Cent mehr für die Zeitung. Zunächst scheinbar unbedeutende Beträge, weil’s erst die Summe macht.

Wie Unmut mutig macht
Quasi aus dem Nichts der einzelnen Lebensumstände, aus dem Unmut des Einzelnen, der sich unbemerkt zu einer Bewegung summiert hat, sind übrigens auch Revolutionen und andere Umwälzungen entstanden.

Und so killt man noch mehr Zahnstocher:

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