Anspruchsvolle Romane stellen besondere Anforderungen an die Übersetzung. Gerade wenn es um postmoderne Werke geht. Es gibt eine hauchdünne Linie, die sich durch die Geschichte der Literatur – sagen wir seit ungefähr dem vorletzten Jahrhundertwechsel – zieht. Der Ahnherr des modernen Romans und der postmodernen Literatur überhaupt mag Hermann Melville mit „Moby-Dick oder: Der Wal“/„Moby-Dick or The Whale“ sein. Wobei der in Deutschland erst 2004 durch die radikale Neuübersetzung von Friedhelm Rathjen zu sprachlichen Ehren kam.
Das erste bedeutende postmodern-literarische Werk kam von einem Mann, für den das Erlernen von Fremdsprachen ein Kinderspiel war.
Der Beginn 1922/1939: „Ulysses“ und „Finnegans Wake“/„Finnegans Wehg“ von James Joyce
Angefangen im eigentlichen Sinne hat diese Art anspruchsvollen Literatur, die ihre Grenzen immer weiter ausdehnte – bis hin zur Unverdaulichkeit bzw. zur Unlesbarkeit – mit James Joyce und den Romanen „Ulysses“ sowie „Finnegans Wake“/„Finnegans Wehg“.
Die Weiterführung 1973: „Gravity’s Rainbow“/„Die Enden der Parabel“ von Thomas Pynchon
Einen weiteren Höhepunkt postmoderner Literatur schuf Thomas Pynchon und seinem Roman „Gravity’s Rainbow“/„Die Enden der Parabel“, der ebenfalls äußerst komplexe Botschaften beherbergt und seinen Stoff ambitioniert gestaltet. Manch einer sieht die Linie weitergeführt durch Arno Schmidt’s „Zettels Traum“. Oder durch Don DeLillo’s „Unterwelt“. Aber vorher kam William Gaddis mit „The Recognitions“/„Die Fälschung der Welt“ heraus, ging jedoch in Amerika sang- und klanglos unter – um dann Jahrzehnte später in einer deutschen Übersetzung zu Ehren zu kommen. „Against the Day“/„Gegen den Tag“, ist das letzte große Werk von Thomas Pynchon.
Der vorläufige Endpunkt 1996: „Infinite Jest“/„Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace
Letztlich hat aber erst wieder „Infinite Jest“/„Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace den Faden aufgenommen und ist zu einem neuen Gipfel aufgestiegen. Es ist der Roman, der in seiner sprachlichen Eigenwilligkeit am ehesten an „Finnegans Wake“ heranreicht – mit dem Unterschied, dass er verständlich ist.
Man könnte auch noch über Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“, der wie „Moby-Dick“ kein postmoderner Roman ist, aber imensen Einfluß hatte, oder über „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides sprechen. Jedenfall ist den vorgenannten Werken ihr Umfang, ihre Komplexität und ihr Anspruch gemein – leider mit dem Nachteil verbunden, dass die Werke für nur sehr geübte Leser zu bewältigen sind.
Schwierigkeiten bei der Übersetzung
Das Unlesbare ist die eine Seite der Medaillie, die andere aber ist die Übersetzung des Unlesbaren. Wer mag ermessen, was es bedeutet, sich in ein Werk zu vertiefen, das als schwer genießbar gilt? Wie lange dauert es, es zu durchdringen und in seiner Gesamtheit zu verstehen?
Sagenhafte Begrifflichkeiten
Ulrich Blumenbach hat einiges über seine Arbeit an „Unendlicher Spaß” berichtet und publiziert. In einem Interview mit Spiegel online erzählt er, warum er jahrelang an der Übersetzung gesessen hat: „Weil“, wie er sagt, „manche Sätze eineinhalb Seiten lang sind.“ Oder den Begriff „ascapartic“ beispielsweise habe Wallace „vom seltenen ‚ascapart‘, einem sagenhaften ‚Helden‘, abgeleitet. Mit diesem Wort habe ich Stunden verbracht.“ Zum Übersetzen gehört auch, genau zu wissen, was der Autor beabsichtigt hat oder wo er Fehler gemacht hat. Blumenbach hat zunächst Wortdreher-Fehler korrigiert, „bis mir auffiel, dass Wallace es natürlich so wollte. Weil seine Verlierer genau so sprechen mussten. Also musste ich das Falsche richtig falsch übersetzen.“
Von Akromegalikern zu Enuretikern
Die Süddeutsche berichtet von den Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Sie zitiert einen elfzeiligen Absatz aus dem Buch, der mit Fremdworten gespickt ist, wie: „Die Akromegaliker und Hyperatotiker. Die Enuretiker und spastischen Schiefhälse.“ Für die Übersetzung dieses Absatzes alleine sei, sagt Blumenbach, „mal wieder ein Nachmittag in der Basler Universitätsbibliothek draufgegangen.“
Wie David Foster Wallace lernte, neue Worte zu bilden
Die Süddeutsche berichtet an anderer Stelle, wieso Wallace überhaupt diese Affinität zu seltsam seltenen Worten gehabt hat: „Die Eltern, die einander händchenhaltend im Bett den Ulysses vorlasen; die Mutter, eine Linguistin, die ihm im Grundschulalter Wörterbücher schenkte und mit der er eigene Wörter erfand, „greebles“ für die Flusen, die man abends oft zwischen den Zehen hat, „twanger“ für etwas, dessen Bezeichnung man gerade vergessen hat.
Verschiedene Stimmen sprechen durcheinander
Im Blog zu Unendlicher Spaß gesteht Ulrich Blumenbach: „Klar, ich hab’ an den schrägen Wortfügungen („wood-walled, Remington-hung, double-windowed“) gemerkt, dass ich’s mit einem ambitionierten Stilisten zu tun habe, (…) aber wirklich die Lauscherchen aufgestellt hab’ ich erst, als ich zu dem Tonwechsel von Hal’s Kindheitserinnerung kam und als mir dann nur zehn Seiten weiter mit Erdedy’s Kifferprosa gleich wieder der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Von da an war ich so fasziniert, dass ich kaum das nächste Umblättern abwarten konnte: Na? Wieder ’ne Leerzeile? Mit was für einer Stimme überrascht er mich jetzt wohl?“ Blumenbach bezieht sich damit auf Wallace’s Meisterschaft mit geschriebener Sprache verschiedene Slangs und sozial geprägte Ausdrucksformen nachzuempfinden und damit die Personen quasi lebendig werden zu lassen.
Zwergenwuchs und Fettarschigkeit
Die Badische Zeitung freut sich darüber, dass Ulrich Blumenbach jetzt wisse, „dass ‚Achondroplasie‘ Zwergwuchs“ sei, und „’gluteale Hyperadiposität‘ ein vornehmeres Wort für ‚Fettarsch‘ “.
Krumme Ausdrücke und schiefe Sätze
In der Frankfurter Allgemeine Zeitung schließlich schreibt der Übersetzer Ulrich Blumenbach davon, dass manchmal das fehlende Grundverständnis für Wortbildungen, die Übersetzung erschwere, „wenn etwa der Groschen nicht fiel, dass ein im Wörterbuch fehlendes ‚underdue‘ das simple Gegenteil von ‚overdue‘ bildete: Ein Urologe, der Tennisspielern Urinproben entnehmen und auf Drogenspuren untersuchen soll, ist früher aufgetaucht als erwartet; er ist ‚unterfällig‘.“ Ein weiteres Problem seien schiefe Sätze, die fehlerhaft wirkten, wie beispielsweise: „Jeden Tag bin ich zu dorthin gegangen, um bei dem Baum zu sein.“ Blumenbach kommt zu dem Schluß, dass „die Figur […] eine sogenannte Aposiopese“ produziere. „Der zunächst geplante Satz (‚Jeden Tag bin ich zu dem Baum gegangen‘) ist beim Sprechen aufgegeben und durch einen Neuansatz ersetzt worden.“
Die Links weiterer Artikel zu David Foster Wallace auf Endoplast:
– Ein Blick auf Originalmanuskripte von David Fostser Wallace
– Der Nachlass wurde verkauft
– Ein Veranstaltungshinweis zur lit.Cologne 2010
– Das Computerspiel zum Autor
– Das Theaterstuck zum Autor
– Der Comic zum Autor
– David Foster Wallace-Lehrstunde
– Literarischer Perspektivwechsel
– Seelenverwandt: Robert Enke und David Foster Wallace
– Die Zukunft der Literatur
– Infinite Jest: Der unendliche Spaß geht weiter
– Roman Infinite Jest: Ausfuhrliche Rezension in der FAZ von heute
– David Foster Wallace: Infinite Jest jetzt auf deutsch
One Response to “Postmoderne Übersetzungen: Ulrich Blumenbach im Kampf mit den Begriffen”
[…] Informationen als Manövrier-Masse Auf der Ebene der Informationsvermittlung ist es ebenso: Zu eindeutige Aussagen wirken fast wie eine Provokation, weil sie konfrontierende Angriffsflächen bieten. Im Zweifelsfall ist keine Information oder eine Allerweltsinformation immer noch besser als eine zu eindeutige Festlegung. Man kennt diese Auswüchse aus der Sprache der Propaganda, der Politik und der Werbung. Hinter „nicht-wirklich“-Aussagen verbirgt sich unter Umständen viel oder gar nichts. In anderen Fällen wie dem viel besprochenen zum Jahrhundertwechsel passenden Buch „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace sind beinahe unendlich viele Bezüge enthalten, viele Themen bearbeitet und Perspektiven eingenommen, ein schillerndes, überbordendes Etwas – dimensionssprengend, und äußerst komplex. Das Buch und seinen Umfang zu bewältigen, ist nicht einfach, es doch zu tun und zu verstehen, hilft, unsere Lebenswirklichkeit zu verstehen. Diese Multi-Querbezüglichkeit kennt man auch von James Joyce und von Arno Schmidt. […]