Kunst als gesellschaftlicher Erkenntnisprozess mutet mitunter an wie ein seltsames Pingpongspiel: Auf der einen Seite Bevölkerungsschichten, die eine Gegenwartskunst, die abgehoben abstrahiert und wenig konkret erscheint, schlecht verstehen, auf der anderen Seite ein Kunstbetrieb, dem zu Konkretes oder Traditionelles suspekt ist. Kunst ist historisch lange darüber hinaus, die Welt, der sie entspringt, lediglich zu beschreiben, heute geht es darum, die Welt zu bewerten.
Das bezieht sich nicht nur auf inhaltliche Aspekte – also Bedeutungen und Aussagen – sondern betrifft auch schon die Form. Wer etwas zu konkret darstellt, setzt sich dem Verdacht aus, naiv zu sein, weil er die Welt nur abbildet anstatt Position zu beziehen. Man könnte meinen, diese Probleme gibt es heutzutage mit moderner Kunst nicht mehr. Aber weit gefehlt.
Im Museum für Gegenwart in Berlin findet seit vorletzter Woche eine Ausstellung von 25 Aquarellen des amerikanischen Malers Walton Ford statt – eine Premiere für Europa. Es handelt sich ausnahmslos um großformatige Tierbilder, die stilistisch auch im 18. oder 19. Jahrhundert hätten entstanden sein können. Ihr Schöpfer ist jedoch 50 Jahre alt und in seinem Heimatland bisher notorisch unterbewertet. Walton Ford, der New Yorker, der in den Bergen Massachusetts lebt, malt seit 20 Jahren allegorische Bilder mit doppeltem Boden – verbirgt dies aber augenzwinkernd und gekonnt unter dem coolen Understatement überkommener Darstellungsformen.
Das Mißtrauen gegenüber einer oberflächlich betrachtet abbildenden Kunst sitzt tief. Dabei könnte diese hier hintergründiger kaum sein. Sie nutzt die Vorurteile des Betrachters gegenüber einer vermeintlichen Kolonialkunst und holt aus zum Gegenschlag, der den erreicht, der sich nicht hinters Licht führen läßt.
Ford ist ein Könner künstlerischer Mimikri, der mit Aquarellfarben, Gouache, Tinte, Bleistift und althergebrachter Typografie malt, zeichnet und schreibt. Nachempfunden sind die mehrere Meter großen Werke den Tierzeichnungen des Ornithologen John James Audubons (1785-1851). Zugeordnet sind ihnen historische Bildbeschreibungen, die die Brechnung mit den elementar-morbiden Motiven verstärken.
Zu sehen ist zum Beispiel eine Antilope, zwischen deren Hinterläufen man Blut erkennt, zugeordnet ist dem Bild ein Jagdtext von Hemingway. Es sind Tiere zu sehen, die kurz davor sind, in Fallen zu tappen und also im nächsten Augenblick umzukommen. Mit von der Partie ist auch ein Pfau, dessen Schwanz Feuer gefangen hat oder zwei kämpfende Hirsche, deren Geweihe sich ineinander verkeilt haben, so dass sie nicht mehr voneinander loskommen werden. Im Tierischen findet der Maler starke Motive für den Daseinskampf, für Macht, Gewalt, Unterdrückung, Gefangenschaft – wenn das nicht mal viel mit dem Menschen zu tun hat. Die monumale Perfektion dieser Bilder ist das, was den traditionellen Kunstbetrieb mißtrauisch macht: Wer so gut malen kann und sich überkommener Darstellungsformen bedient, dem wird ja vielleicht genügen, wie gut er das malt. Soweit das Vorurteil. Das jedoch, was der Künstler dem Betrachter sagen will, wirkt im Gewand der Wissenschaftlichkeit noch eindringlicher, weil es wie eine objektive Tatsache daherkommt, allerdings eingeschränkt durch die Pseudonaivität der historisierenden Abbildungen. Zwischen diesen Polen der naiven Objektivität ist der Betrachter eingeschlossen – wenn er so offen ist, sich in deren Vielschichtigkeit hineinziehen zu lassen.
Überhaupt geht es in den meisten Bildern auch um Mißverständnisse: Die der Tiere, deren Nichtachtsamkeit ihr Ende herbeiführen wird, und die der Menschen, die die Bilder betrachten und sich in den Tieren wiedererkennen mögen – sofern sie genau hinsehen.
3 Responses to “Ausstellung „Walton Ford: Bestiarium“ im Museum für Gegenwart Berlin”
[…] Walton Ford, der allegorische Naturalist, ist gerade in Berlin zu bewundern. Seine zwei Dutzend Riesenbilder […]
[…] Im Anschluss an ihre Präsentation in Berlin wird die Ausstellung in der Albertina in Wien zu sehen sein. Den originalen Beitrag finden Sie hier | Ralf Wasselowski […]
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