Jeder, der in der Öffentlichkeit steht, steht für etwas, und wenn er für nichts steht, kann es passieren, dass man sagt, er stünde dafür, für nichts zu stehen. J. D. Salinger war so einer.
Er hat mit „Der Fänger im Roggen“ einen berühmten Roman geschrieben, danach nur noch Kurzgeschichten und Erzählungen. Er hat sich zeitlebens wie Thomas Pynchon geweigert, Teil einer Öffentlichkeit zu sein, von deren Vereinnahmung er sich distanzieren wollte. Er wollte nicht gefragt, nicht gesehen, nicht fotografiert und nicht gefilmt werden. Einer, der sich nicht medial erschließen läßt, existiert aber in einer Mediengesellschaft praktisch nicht. Salinger hat die Künstlerexistenz, die Literatur verfasst, weil sie es aus persönlicher Notwendigkeit muß, gegen den Literaturmarkt und seine Partizipationsprozesse gesetzt.
Schreiben im Vergessen?
Wäre also nicht „Der Fänger im Roggen“ gewesen, wäre Salinger vollständig vergessen worden. So aber wird das Buch immer wieder und immer noch gelesen, haben ihn ständig Briefe erreicht (die auch in Sammelbänden publiziert wurden), die er aber auch nicht beantwortet hat.
Kunst im stillen Kämmerlein oder für die Weltöffentlichkeit?
Witzig ist, dass Amerika, „das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ Autoren wie Salinger oder Pynchon hervorbringt, die die Möglichkeiten der Einfluß- und Inbesitznahme durch dieses Amerika hinterfragen und aushebeln. Salinger ist dafür zu danken, dass er für die Literatur gelebt hat und nicht für die Veröffentlichung der Literatur oder den literarischen Sektempfang. Er hat damit als Autor viel an Glaubwürdigkeit erlangt. Er hat als Haltung eine Radikalposition gegen die gesellschaftliche Verwertung der Literatur eingenommen und so die Fragestellung hinterlassen, ob ein Künstler seine künstlerischen Lebensäußerungen öffentlich zugänglich machen sollte, wenn er sie nur für sich selbst geschrieben hat. Damit ist Salinger in unserer Zeit, in der es fast nur noch um Darstellung und Vermarktung geht, aktueller denn je.
Das prägende Spätwerk?
Jerome David Salinger starb am 27. Januar 2010 im Alter von 91 Jahren. Er hat einen umfangreichen literarischen Nachlass hinterlassen. Vielleicht wird hier der Präzedenzfall geschaffen, dass das eigentliche Werk eines Autors erst nach seinem Tod veröffentlicht wird. Erst jetzt, nach seinem Tod, wäre Salinger also im Wesentlichen zu entdecken. Einmal als unveröffentlichter Autor, zum anderen aber auch als Autor, dessen Frühwerk nicht vollständig in Buchform veröffentlicht ist. Dies betrifft einige in Magazinen veröffentlichte Kurzprosa. „Der Fänger im Roggen“ war sein Erstling, was dann kam, hat ihn aber jenseits der „Fänger“-Urschrei-Therapie vermutlich als Literaten viel mehr definiert.