Viel zu wissen, halten wir für etwas Positives. Der Rohstoff, aus dem Gesellschaften wie die unsere gemacht sind, nennt sich „Information“. Und doch führt unser Wissen allmählich in eine Sackgasse. Durch die Computerisierung ist zum einen Wissen und dessen Verbreitung exponential explodiert, zum anderen läßt es sich aber nur noch durch Computertechnologie verwalten.
Die Krux beim Wissen jedoch ist eine Informations-Inflation. Informationen in großer Menge sind in immer kürzeren Intervallen überholt, weil sich das Wissen immer schneller aktualisiert. Gerade Informationen, die nicht sinnvoll erfasst und so handhabbar werden, würden zu schnell nichts mehr Wert sein. Wer zum Beispiel ein langes naturwissenschaftliches oder medizinisches Studium vor sich hat, kann davon ausgehen, dass das, was er zu Anfang seines Studiums gelernt hat, an seinem Ende teilweise obsolet sein wird, weil neue Erkenntnisse gewonnen wurden.
Wissenhorten Messie-like
Das Problem weltumspannender Technologiekonzerne zum Beispiel ist nicht, dass sie zu wenig Wissen hätten, nein, im Gegenteil: Sie haben zu viel und setzen große Anstrengungen daran, dieses Wissen zu verwalten. Der Satz „Wissen ist Macht“, stimmt also nur bedingt. Denn wenn vorhandenes Wissen nicht mehr genutzt werden kann, ist es nichts wert. Das Verschwinden von Wissen auch von fächerübergreifendem Wissen hängt damit zusammen, dass in allen Wissensbereichen ungeheure Informationsmengen entstanden sind, die die Kapazität des menschlichen Gehirns sprengen.
Die aktuelle Form der Zusammenarbeit: Vernetzung
Um dies dennoch bewältigen zu können, vernetzen sich Wissenschaftler über das Internet, berechnen sie komplexe Systeme wie das Wetter und seine Vorhersage mittels Computersimulations-Modellen. Normale Menschen legen Datenbanken oder Dokumente wie Wikis oder Google-Docs an, an denen beliebig viele Autoren mitarbeiten können. Das, was früher das Ergebnis eines Denkers in seinem stillen Kämmerchen war, wird schon lange durch die Kooperation einer Arbeitsgruppe via Netz ersetzt. Das Wort von der Schwarmintelligenz macht die Runde.
Selbsterkenntnis als Stolperstein
Wer zuviel weiß, ist nicht nur im Vorteil. Zuviel Selbsterkenntnis kann verunsichern. Wer zu viele der eigenen Fehler kennt, also zu viel darüber weiß, was er nicht weiß, wird nicht unbedingt den besten Abschluß machen. Das kann man vom Einzelfall auf die Gesellschaft übertragen. Oder auf die Menschheit, als die noch von ursprünglichen Riten und Religionen bestimmt war, die das Nichtwissen kompensierten und Erklärungsmuster anboten. In der Religion zeigt sich aber noch etwas Anderes: Sie ist durchaus nicht nur ein Ersatz für Wissen, das eines Tages ermittelt ist, denn in vielen Bereichen gibt es nicht das letztendliche Wissen, das alle Fragen klärt.
Zuviel Wissen führt zu immer mehr Fragen
So sprechen manche Naturwissenschaftler, gerade Teilchenphysiker, davon, dass das immer tiefere Eintauchen in die Forschungsmaterie und damit auch in die Welt des Wissens in Religion mündet, weil man bemerkt, dass die Feinverästelung des Wissens nicht mehr Klarheit bringt, sondern immer weitere Fragen aufwirft. Beispielsweise experimentiert man seit Jahren an Quanteneffekten, die auch für technische Anwendungen zu funktionieren scheinen, man weiß aber nicht, warum, das heißt, was ihr Wirkprinzip ist. Man kann die Quantenmechanik weder mit der etablierten Relativitätstheorie in Einklang bringen noch mit unserem Verständnis und unserer Wahrnehmung von der Welt. Die Quantenmechanik will die Vorkommnisse in der atomaren und der subatomaren Welt, in der Welt des Kleinsten und Allerkleinsten beschreiben, während die Relativitätstheorie die Welt im Großen, die Welt der Planeten und Universen beschreibt. Nur verhalten sich diese beiden Theorien und die Gesetzmäßigkeiten der beiden Größenordnungen sehr unterschiedlich. So unterschiedlich, dass sie bisher nicht in Einklang miteinander zu bringen sind.
Königsdisziplin Weltentheorie
Wissenschaftler versuchen seit längerem, eine Theorie zu entwickeln, die beide Gedankengebäude miteinander vereinen soll und damit die Welt physikalisch–mathematisch schlüssig in ihrer Gesamtheit erklären können soll. Dabei sind so komplexe mathematische Berechnungen entstanden, dass die nur noch sehr wenige Menschen auf der Welt verstehen und überprüfen können. Es sind Weltmodelle entstanden, die so kompliziert sind wie Multi-Dimensionen-Theorien oder die String-Theorie, dass wir diese ebenfalls kaum mit unseren herkömmlichen Vorstellungen in Deckung bringen können.
Theorie und Praxis des Wissens
Die Komplexität dieser Theorien basiert auf theoretischer Mathematik und experimentell ermitteltem neuem Wissen. Und das hängt ursächlich mit der Informationsinflation zusammen: Dass es nicht nur fundiertes, abgesichertes Wissen gibt, sondern zahlreiche Theorien, die mögliches Wissen, optionales Wissen beisteuern, das richtig oder falsch sein kann.
Wissen ist Macht: Der überforderte Mensch
Man kann die Situation, in der sich der Mensch als Erkenntnismaschine befindet, etwa so beschreiben: Er hat seine Kapazitäten, Informationen selbst zu verarbeiten, erreicht und hat sich als Werkzeug, das seine Fähigkeiten erheblich erweitern kann, die Computertechnologie geschaffen. Archivierbarkeit, Zugänglichkeit über ein globales Netzwerk, permanente Informationsaktualisierung, weil es kein statisches Medium mehr gibt und systematische Auswertungsmöglichkeiten sind Charakteristika dieser digital-virtuellen Kulturtechnik. Ein einzelner Mensch kann sie nicht mehr handhaben, die minimale Bezugsgröße sind aufgabenteilende Arbeitsteams, nicht mehr der einzelne Wissenschaftler, der am Gesamtproblem forschen würde.
Steckt immer dahinter: Das große Ganze
Es war zwar immer so, dass zum Beispiel große mathematische Problemstellungen und ihre Lösungen eine weltweite Gemeinschaftsaufgabe waren, dass Fermats Satz oder Eulers Zahl eben in einer Tradition standen oder konkret auf den Arbeiten anderer Mathematiker basierten. Aber das waren abgrenzbare Aufgaben, heute geht es mehr um das große Ganze. Ein fundiertes Teilergebnis im Teilchenbeschleuniger CERN in der Schweiz hätten gleich Auswirkungen auf ein Gedankengebäude, das die hochtrabende Weltentheorie betreffen könnte.
Zu viel Informationen für ein scharfes Weltbild
Dieses Komplexitätswissen ist nur noch in menschlichen und technologisch basierten Netzwerken zu verwalten. Also noch mehr weg vom Einzelwesen, das die Thematik durchdringt, und hin zur Gruppe, zur Forschergemeinde, die gemeinsam als Schwarm, dieses Wissen verwaltet und weiteres hinzufügt. Und der „normale“, nicht wissenschaftlich orientierte Mensch? Der wird überfordert mit einer alltäglichen Informationsflut. Täglich erreicht ihn über Massen- und Zielgruppenmedien in Form von klassischen Informationen und Werbung alle paar Sekunden eine neue Information, die er in sein Weltbild einordnen soll.
Wie entkommt man der Informationslawine?
Man könnte sagen, dass Vereinfachungen und in gewisser Weise Radikalisierungen von Informationen Mittel sind, mit der Informationslawine umzugehen. Das bedeutet, Informationen gezielt auszublenden, unberücksichtigt zu lassen, sogar zu ignorieren, um informationell zu überleben. In der Reduktion, in Ignoranz, Borniertheit, in vorurteilsbehafteter Wahrnehmung, sogar in Dummheit, im Ausblenden von Kausalitäten scheint die Rettung vor der Informationslawine im Alltag zu bestehen, also im exakten Gegenteil dessen, wie man sich traditionell Wissen angeeignet hat. Hier hat computergestütztes Informations- und Wissensmanagement über die gezielte Suche und Selektion von Informationen über Spezialsuchmaschinen, RSS-Feeds oder andere Formen des Informationsabonnements einen neuen Weg eingeschlagen.
Wissen ist der Weg aus dem Unwissen. Oder auch umgekehrt?
Dabei gibt es gigantische Unwissensbereiche, die sich dem Wissen nicht erschließen. Wie zum Beispiel siegt ein Atom aus? Alle vorhandenen Modelle sind nur Sinnbilder oder Annäherungen. Wo in älteren Modellen Kreisbahnen für die Elektronen gezogen wurden, die den Atomkern bestehend aus Protonen und Neutronen umkreisen, spricht man heute nur noch von „Aufenthaltswahrscheinlichkeiten“ dieser Teilchen, und es sind wesentlich mehr Teilchen geworden, im Augenblick wird der Beweis gesucht, dass man das letzte und damit das kleinste Teilchen gefunden hat. Je mehr das Wissen quantitativ anwächst, je mehr die Fülle an Informationen zunimmt, desto größer ist auch die Menge an Informations-Schrott. Je größer die Menge an Informations-Schrott – also an unnützem Wissen – desto gringer der Erkenntnisstand und desto größer das Unwissen, Oberstes Ziel sinnvollen kommunikativen Verhaltens sollte es also sein, Informationen immer auf das Wesentliche zurückzuführen.
Im Zeitalter der Informationen
Oft ist die Rede von der „modernen Informationsgesellschaft“ oder dem „Informationszeitalter“. Dies ist keine qualitative Wertung der Güte der Informationen. Denn da sehr viele ansich unnütze Informationen Geld bringen, sind wir bisher von einer nicht enden wollenden Flut an audiovisuellen und gedruckten Informationen überschwemmt worden. Tatsächlich nimmt die Qualität und Präzision von Informationen im Alltag offenbar durchschnittlich ab. Das Internet als Verbreitungskanal für Informationen hat dabei eine Doppelfunktion: Es verbreitet unliebsame Informationen von hoher Relevanz, andererseits türmt es Gerüchte, Halbwahrheiten und Unwahrheiten auf, unter denen Wissensprojekte wie Wikipedia leiden.