Zunächst: Was gibt’s Neues im Marvel-Wunderland? Wir berichteten darüber, dass Saubermann Disney Schmudelkind Marvel erworben hat. Jetzt gehen die Gedankenspiele weiter, was diese Übernahme für die filmische oder normale comicmäßige Verlagstätigkeit und ihre Inhalte und Umsetzungen bedeuten könnte.
Zentral ist, dass auf absehbare Zeit, die eingegangenen Lizenzverträge für Kinofilme mit anderen Filmstudios weitergeführt und eingehalten werden. Soll heißen: Einige Superheldenfilme der nächsten Jahre werden noch gar nicht unter der Disney-Ägide produziert. Dazu zählen mit die erfolgreichsten Filmumsetzungen wie „Spiderman“, „X-Men“, „Iron Man“ oder „Fantastic Four“. Die nächsten Jahre besteht also noch nicht die Gefahr der weiteren Weichspülung. Wobei ich diese Gefahr gar nicht mehr so sehe. Denn die Verfilmungen sollen natürlich Kasse machen und ein Superheld ohne Action wird nicht gut verkaufen. Abgesehen davon sind die meisten bisherigen Verfilmungen sowieso familienkompatibel und die Meister-Trickfilmer von „Pixar“, die sich ebenfalls vor einiger Zeit der Disney-Konzern einverleibt hatte, interessieren sich für Marvels Inhalte.
„Incognito“ vom „Criminal“-Team Ed Brubaker und Sean Phillips
Das Team Ed Brubaker und Sean Phillips das das sowohl zeichnerisch als auch erzählerisch ernstzunehmende Projekt „Criminal“ kreiert hat, von dem in Deutschland vier schöne Bände erschienen sind, legt mit „Incognito“ einen neuen Band vor, in dem es wieder um einen Superhelden geht. „Criminal“ lebt vom schnellen groben Pinselstrich, den man nicht mehr oft sieht, vom realistisch-schmutzigen Ambiente einer Welt der Gescheiterten und Klein-Kriminellen. „Incognitos“ Held erinnert an den „Spirit“ und lotet aus, wie der Autor sagt, wie es einem schlechten Menschen in einer guten Welt gehen kann, in der er sogar Gutes tun muß. Interessanter Ansatz. Zeichnerisch gibt es einige Reminiszenzen an andere Comics und Phillips aquarelliert, was er lieber hätte bleiben lassen sollen. Ansonsten ist der Band zeichnerisch hingeschlunzt. Weniger Output wäre mehr.
Ein paar Vorankündigungen werfen schon mal mittellange Schatten:
Im Februar nächsten Jahres kommt die Serie „Wolverine – Old man Logan“ als Hard- und Softcover-Buch in die Läden. Gezeichnet von Steve McNiven, einem der besten neueren Zeichner der letzten Jahre. Hervorgetreten war er vor allem mit seiner „Civil War“-Serie, die ebenfalls von Mark Millar getextet wurde. McNiven hat ansich einen wunderbar klaren, reduzierten zeichnerischen Stil. Leider ist das im schraffur- und farbüberfrachteten „Old man Logan“ nicht zu sehen. Schade. McNiven geht unter in manieristischen Bergen an getuschten Strichen und Farbkitsch mit Verläufen und einer Farbgebung, die dreidimensionale Darstellung erzeugen soll. Diese visuelle Überfrachtung läßt in seinem Fall Schönheit und Einfachheit seiner Linienführung untergehen. Auch hier wäre weniger mehr.
Zombies als Überraschungs-Hit
Ein Überraschungs-Spaß war „Marvel Zombies“, in dem alte bekannte Superhelden zu abgefrackten Untoten mutierten. Hatte man so noch nicht gesehen. Augenzwinkernd und witzig. Und weil’s so schön war, kommt das extradicke Softcover mit allen „Abenteuern“ im Januar als 400-Seiten-Schinken.
Neuedition: „Signal to Noise“ von Neil Gaiman und Dave McKean
Im Februar kommt aber als eigentliches Highlight der augenblicklichen Vorankündigungen eine Neuausgabe von „Signal to Noise“ von Texter Neil Gaiman und Zeichner Dave McKean. Das Werk darf man aus einer künstlerischen Perspektive als einen der wenigen Meilensteine amerikanischer Grafik-Novels oder anspruchsvoller Comics ansehen, sozusagen ein früher Klassiker, der seinen Status vermutlich auch nie verlieren wird.
Dave McKean, der multimediale Künstler
Dave McKean ist der Crossover-Artist überhaupt. Nur Bill Sienkiewicz hat ähnlich mit Stilen und Materialien experimentiert, aber McKean ist derjenige, der dies zusätzlich um Photografie und Nachbearbeitung am Computer erweitert hatte. Sein Alleinstellungsmerkmal ist es, dass er teilweise Personen oder Elemente seiner Bilder als Modell baut oder reale Menschen fotografiert, diese Bilder unverwechselbar am Computer bearbeitet und modifiziert und dann zu einem Gesamtkunstwerk zusammenfügt. Darüber hinaus nutzt er eine breite Palette an Zeichengeräten und –Techniken – vom Kugelschreiber, über Maltechniken bis zur klassischen oder elektronischen Collage. Letzteres kommt in „Signal to Noise“ voll zum Einsatz. Die Heterogenität der grafischen Sprache zerfranst die Story aber nicht sondern fügt sich ein, interpretiert den Text adäquat. Historisch betrachtet ist „Signal to Noise“ die bisher grafisch innovativste Grafic-Novel.
Vom Comiczeichner zum Bildenden Künstler
Manch einer wird „Cages“ von McKean dafür halten. Jedoch geht dieses wesentlich umfangreichere Werk mehr in die Breite, nutzt als Grundform zunächst einfache Pinselzeichnungen, über die künstlerisch auch wieder in verschiedensten Stilen und Techniken variiert wird. „Signal to Noise“ ist komprimierter und hat zu seiner Zeit die Messlatte für grafische Ausdrucksformen dermaßen hoch gelegt, dass bis heute niemand mehr ein ähnliches Innovationspotenzial erreicht hat. Dave McKean wäre auch als bildender Künstler, als Meister der elektronischen Collage und nicht nur als Comiczeichner in Deutschland noch zu entdecken. Dies vor allem auch bezüglich seiner Cover für die Sandman-Serie.
Neuedition des wegweisenden Comics „Signal to Noise“
Die Neuauflage dieses Werkes hat also ihre Berechtigung. „Signal to Noise“, zunächst episodenhaft in „The Face“ veröffentlicht, einem damals ebenfalls wegbereitenden Magazin, das von Grafik-Design-Guru Neville Brody gestaltet worden war, erscheint in einer erweiterten, 100-seitigen Neuausgabe als Hardcover-Buch, mit neuer Übersetzung, neuem Abschlußkapitel und drei zusätzlichen Kurzgeschichten.
12 Responses to “Comics: Anspruchsvolle Kunst und leichte Muse”
Uuups, dem thumbnail nach hatte ich gedacht, das Bild zeigt Terence Hill und Bud Spencer. Hatte mich schon gewundert, was die mit Comics am Hut haben…
Naja, Terence Hill und Bud Spencer lesen auch Comics. Das ist der Zusammenhang.
Der Kerl neben dem Kerl, der neben Bud Spencer posiert, ist nicht Bud Spencer?
Doch
[…] McKean ist ein bekannter Comic-Zeichner. Hier auf Endoplast war bereits etwas über sein Comic „Signal to Noise“ zu lesen, das im nächsten […]
[…] „Black Orchid“ von 1988, das McKean sehr in das Zentrum des Interesses an Comickunst rückte, „Signal to Noise“ von 1992, das als eines der wichtigsten Beiträge zur ernsthaften Comickultur gilt, und „The […]
[…] Endoplast war in den letzten Tagen einiges über den britischen Comickünstler Dave McKean zu lesen. Was noch fehlt, ist ein aussagekräftiges Interview, in dem er zum Beispiel […]
[…] Der Preis des Lebens“, getextet vom viel verehrten Neil Gaiman, gezeichnet von Chris Bacholo, Dave McKean, Mark Buckingham und Jeff Jones – sozugen künstlerisch wertvoll und ein praller Band mit 196 […]
[…] Ästhetische Unterscheidungs-Kriterien greifen schon lange nicht mehr, wenn ein Barron Storey, ein Dave McKean, ein Bill Sienkiewicz oder ein Moebius im positiven Sinne zwischen allen Stühlen […]
[…] in Fortsetzungen 1989 den Comicroman „Signal to Noise“ von Autor Neil Gaiman und Zeichner Dave McKean veröffentlicht hatte, der als einer der grafisch innovativsten Comics aller Zeiten in die Historie […]
[…] und merkt nicht, dass er tatsächlich nur Peter Parker ist und bleibt und niemals „Spiderman“/„Die Spinne“, sein […]
[…] Plakaten mit den Tierköpfen. Erinnerte mich vom Stil her an das Artwork von Dave McKean, der die „Sandman“-Comic-Cover gemalt bzw. in einer analog-digitalen Mischtechnik illustriert hat und auch sonst sehr schöne […]