Es gab Zeiten, da war es korrekt, politisch korrekt zu argumentieren, heute ist es korrekt, politisch unkorrekt zu sein. Es gab Zeiten, da wußte man nicht so genau, ob etwas, das man zu Wege brachte, wirklich schlecht war. Wer ahnte schon, dass etwas geboren war, das man später „Trash“ nannte?
Man drehte z.B. Filme, die schrecklich dumm waren, aber die Zeiten waren unschuldiger als heute, man nahm es weniger genau. Im Film ist vieles sowieso technisch nicht so einfach zu machen: Deshalb mag es verzeihlich sein, dass vieles qualitativ minderwertig gedreht wurde.
In aller Munde: Der Qualitätsverlust von Inhalten.
Als trashig chic gilt das Minderwertige, das Halbfertige. Was früher „Kitsch“ hieß und verpönt war, ist heute trés-chic Unsere Kultur ist durchdrungen von Trash, Künstler kokettieren bisweilen mit dem Unfertigen, nicht zuende Gedachten, wollen durch Trashaspekte aufrütteln und sehen mitunter nicht, dass Trash zu einem Kulturstandard mutiert ist. Juergen Teller, ein Fotograf, der bisweilen gut zu tun hat und dessen Ausstellung gerade in der Kunsthalle Nürnberg läuft, hat z.B. das Titelbild der aktuellen Ausgabe des Kunstmagazins „Monopol“ fotografiert. Auf den ersten Blick denkt man, ein Amateur hätte das geknipst, so sehr stechen Schlagschatten, die unzureichende Ausleuchtung und die mißmutig Dreinblickenden ins Auge. Weit gefehlt, der Maestro hat das bewußt gemacht. Berüchtigt auch Jeff Koons, der in Art-Director-Manier Kunsthandwerker mit der Ausführung seiner Entwürfe beauftragt, zum Beispiel eine Glasbüste anzufertigen, die ihn und seine damalige Ehefrau Chiccolina während der Koppulation zeigt.
Medienoffensive als Trashparade
Mediendurchdringend haben Schlagersänger wie Guildo Horn oder Dieter Thomas Kuhn den klassischen deutschen Schlager verhohnepiepelt, zwischen jeder Zeile scheint die Uneigentlichkeit, der die Grenze der Satire abschrappende doppelte Boden hindurch. Andererseits wurden zahlreiche talentlose Musikvergewaltiger oder sonstige die Medien überflutende Grinsegesichter – entweder doppelt aufgepolstert an Körper und Gesicht oder aber erheblich abgesaugt, leider aber nicht vollständig – nicht müde zu behaupten, sie seien Künstler. Das war erst nur erheiternd und hat jahrelang für herzliche Lacher gesorgt.
Abstumpfung im Gewöhnungsprozeß
Aber dann haben prägende Institutionen wie das Privatfernsehen, das wie ein äußerst schweres Gewicht an jedem kulturellen Anspruch hängt, Standards geschaffen, sozusagen vollendete Tatsachen. Wenn man sehr oft über ein und dasselbe gelacht hat, hat man irgendwann keine Lust mehr dazu, das ewig weiter zu tun. Es setzt ein Prozess der Gewöhnung ein. Ein Büro beispielsweise, dass zunächst aus Jux WDR 4 hört und das Woche für Woche tut, lacht irgendwann nicht mehr. Es ist die Normalität geworden. Und die Headbanger, die früher Heavy Metal goutiert und sich über Schlager totgelacht haben, merken nicht, dass sie seit zwei Jahren ununterbrochen deutschen Schlager hören und sich an Metal gar nicht mehr erinnern können.
In-Tash als Tabubruch
Natürlich ist beim Trashigsein nicht nur Spaß am Tabubruch dabei oder die Lust, mit der eigenen kulturellen Sozialisation zu spielen, sondern es gibt auch andere Interessen, die befriedigt sein wollen. Die Pornoindustrie hat fleissig daran gearbeitet, anerkannt zu werden, die Unternehmerin Dolly Buster zum Beispiel, die ihrer eigenen Karikatur mitunter verdächtig nahe kommt, ist bei vielen Gelegenheiten Gast im Fernsehen, ob als Talkgast, als Protagonistin in einem Feature, als gern gesehener Interviewpartner zur Frage der Zeit über die Pornobranche oder als auf den Knieen rutschende, wortlos und gebückt im Hintergrund agierende Putzfrau in einer Folge von Harald Schmidts Show.
Symbionten-Trash am Zipfel etablierter Kultur
Die Kultur ist durchdrungen von Trash, der zusammen mit seinem Vorläufer mal als minderwertig galt, inzwischen aber jüngere Generationen begeistert, die das Staubtrockene mancher tradierten Kulturströmung langweilt. Was hat Trash so an sich, das ihm Popularität verschafft? Ist Trash so gesehen eine qualitative Verwässerung von Kultur und klarer benannt eine Art Verblödungswelle, sogar ein fortwährender Verblödungs-Tsunamie, der nicht mehr nachlässt sondern inzwischen fester Bestandteil der westlich-dekadenten Kultur ist. Und wo wäre die Trennlinie zu ziehen? Wie immer schwierig und nur von Fall zu Fall zu entscheiden.
Unsere Kultur basiert auf dem antagonistischen Prinzip:
Was lang tradiert seine Dominanz entfaltet hat, wird irgendwann grundsätzlich in Zweifel gezogen, negiert und gebrochen und mit einem Gegenkonzept konfrontiert. Ob brachialer Hard- oder Heavy-Rock, explosiver Punk oder skuriler Tash: Die Etablierten rümpfen über die Gegenbewegung die Nase oder sind vor den Kopf gestoßen. Soweit könnte die Geschichte stimmen, wäre nicht auch das Bürgertum dem Trash anheimgefallen und von ihm durchwirkt worden.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf neuem Kurs
Das zeigt allein schon die Reaktion mancher Leser, die sich über das farbige Aufmacherfoto inklusiver lapidarer Bildunterschrift auf dem FAZ-Titelblatt erregen. Beflügelt durch den locker-jugendlichen Gestus der durchweg beschwingt feuilletonistisch daherspringenden Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und ihren Erfolg als Neueinführung in der sonntäglichen Presselandschaft ist auch das einstige konservative Flaggschiff FAZ beschwingter geworden. Das alleine hat nichts mit Qualitätsverlust zu tun. Das Hinwegkrauchen vom Erzkonservativen: Ein ersehnter Befreiungsschlag, der hernach zum Auskosten neuer Freiheiten, dem spielerischen Umgang mit Sichtweisen führt und einhergeht mit dem einen oder anderen Unterhaltungsaspekt.
Trash als schmarotzender Organismus
Um beim Beispiel der FAZ zu bleiben: Die hat nun zaghaft rechts ganz unten auf einer Seite die Berichterstattung über Promis in jeweils zwei Kurznachrichten eingeführt, etwas verschämt zwar, zugestanden, thematisch aber auf einem Feld der Yellowpress wildernd. Früher hätte es das nie gegeben. Man muß sich das so vorstellen: Ein gesunder, durch und durchtrainierter Körper wird befallen von einem schmarotzenden Kleinstorganismus, der dem Wirt zwar nicht sofort gefährlich werden kann, aber er siedelt sich stur und unbeirrbar an, läßt sich nicht verdrängen und er hat alle Zeit der Welt, wächst unmerklich. Zelle um Zelle anektiert er, bis er wie bei einer feindlichen Firmenübernahme das Ruder herumreisst: Dann läutet er das Zeitalter des Trash ein, weil nicht mehr klar ist, wo oben oder unten ist und im Zweifel der Spaß den Ton angibt.
Trash als schwärende Wunde des Geisteslebens
Denn überdauert er Generationen, hat er Anteil daran, Unsicherheit zu erzeugen und durch die eigene Tradition ein Existenzrecht zu proklamieren, das echte Kultur verdrängen kann. In Zeiten, in denen anerkannte Kulturschaffende träge und blasiert geworden sind und die wegbrechenden öffentlichen Gelder zumindest Kontinuität kultureller Einflußnahme erschweren oder in manchen Fällen verunmöglichen, ein Aspekt mit Gewicht. Trash ist mit Protagonisten wie Helge Schneider oder einer Herrschar an Spaßvögeln des Privatfernsehens längst salonfähig geworden.
Trash gegen den Beflissenheits-Kopfschmerz
Ist das nur schlecht? Als gesellschaftliche Gegenbewegung gegen allzu Etabliertes, zu Verkopftes und Verquastes hat Trash seine Berechtigung. Punk ist auch nur entstanden, weil ein Jahrzehnt Artrock mit daherwabbernden 30-Minuten-Stücken á la „Yes“ oder „Genesis“ einfach nicht mehr zu ertragen war. Auch der Allgemeinplatz „Humor kann nicht verkehrt sein“, mag seine Berechtigung neben ernsthafter Auseinandersetzung haben.
Kronzeugenregelung: Sissi und Heidi packen aus
Im Gegensatz zum kitschigen Heidi- oder Sissifilm übernimmt Trash jedoch keine soziale Verantwortung, vermittelt keine Werte. Das kulturelle Leben wird dadurch nicht einfacher. Trash macht sich über alles und jeden in jeder erdenklichen Form lustig, man verliert die Bezugsgrößen aus den Augen und ist am Ende der Dumme: Der, der sich über die Unverständlichkeit und Beliebigkeit moderner Kunst lustig gemacht hat, ist selbst beliebig geworden, der, der den Schlager witzig fand, hört ihn jetzt, und das ganz im Ernst.