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Todsünden (2): Warnung vor dem zweiten Guten

Jetzt saß ich in einer Patsche voller Demütigungen, die den juristischen Sachverhalt mickrig aussehen ließen. Ein Bulle nach dem anderen, von denen keiner was mit meinem Fall zu tun hatte, spritzte aus einer ewig sprudelnden Quelle herbei, um mir einen „freundschaftlichen Ratschlag“ mitzugeben.

Zunächst – das war deprimierend genug für einen im Verhaftet-werden Untrainierten – um Kniffe loszuwerden, wie: „Wenn du mal ein großer Dieb werden willst, dann musst du lernen, dich unauffällig zu verhalten. Ganz unauffällig.“

Es folgte regelmässig die Parodie eines bemüht unauffälligen Herrn, mir. Das reichte, um ringsum einen kollektiven Lachanfall der ansonsten miesepetrigen Beamten auszulösen. Anzüglich wurde es nach der Leibesvisitation. „Süße“ nannten sie mich. Oder „Schnuckelchen“. Bah! „Pass ich da nicht noch mit rein?“, wollte einer wissen. Blöde Bullen.

So werden Schurken gemacht

Angefangen hatte das Ganze mit der Absicht, meinen Teilen etwas Gutes zu tun, um ihrer Desertion vorzubeugen. Zwei Ausreisser hatte es schon gegeben: Meine Augäpfel (siehe hier), die Hallodris.

Heute entwickelte ich die revolutionäre, mich jetzt bumerangartig einholende Idee, gleichzeitig zu zwei verschiednen Organen nett zu sein. Vor allem machte es Sinn, mit den Fingern anzufangen. Sie machten sowieso gerne mal, was sie wollten. Rhythmisch Rumtippeln zum Beispiel. Oder, wie beim Klavierspielen, auch gerne mal nicht, was ich wollte. Sie waren gefährdet. Potenzielle Abhauer. Fahnenflüchtlinge in Spe. Ganz klar. Es sollte die Stunde der Finger werden. Spaß und Spannung für diese Glieder, die soviel für mich taten, ohne dass ich es ausreichend vergalt.

Ich wollte ihnen etwas Aufregendes gönnen. Etwas, dass sie nicht alle Tage zu tun bekamen. Ein Raubzug sollte es werden. Oder, mit der Bescheidenheit des Debütanten, ein kleiner Diebstahl.

Der Coup

Ich platzierte mich in einen Sessel mit gutem Überblick in einem Woyton. Es schien mir das Beste zu sein, jemanden in einem Woyton zu beklauen. Die Caramel-Macchiato- Frappé schlürfenden Wohlstands-Langeweile-Möchtegern-Schicki-Micki-Realschul-Girlies, die diese gesichtslose Kaffeehauskette heimsuchten, hatten ohnehin eine Abreibung verdient.

Einen meinen halben Tagesbedarf an Ribofavin abdeckenden Latte Macchiato lang studierte ich das Szenario. Neben mir ein älteres Pärchen. Er schwieg in seinen Laptop hinein. Sie redetet ungeniert auf ihn ein, ohne dass er davon etwas merkte. Die nervte mich. Sie spielte mit einem breiten goldenen Armreif. Streifte ihn ab, streifte ihn um. Streifte ihn ab. In Gedanken entwickelte ich fünf verschiedene Methoden, ihr die Hand zu amputieren. Durch Abhacken. Schreddern. Zerquetschen. Verkochen. Abbeißen. Aber deshalb war ich nicht hier. Ich brauchte ein Raubdelikt-Opfer. Ein harmloses, unwissendes, Caramel-Macchiato-Frappé-Irgendwas-Aufsaugendes-Ding, das möglichst alleine hier war.

Niemand ist unschuldig genug

Mein Opfer fand sich in einer verhuschten jungen Frau, die gelegentlich Einträge in eine Art Tagebuch vornahm. Nach jedem Eintrag verstaute sie ihr unförmiges Tagebuch wieder sorgfältig in ihrer Handtasche, nur um es Sekunden später wieder hervor zu holen. So eine wollte einfach bestohlen werden. Mit dem Diebstahl des Buches bekämen meine Finger die ihnen zustehende Spannung und die verhuschte junge Frau eine Befreiung von ihrem Fetisch. Sie würde es nicht sofort zu schätzen wissen, später aber bestimmt.

Endlich bewegte sie sich zum Örtchen. Die blöde Kuh nahm in Frauenmanier ihre Handtasche mit, ließ aber ihren Mantel über der Stuhllehne zurück. Das war die Stunde meiner flinken, neuerdings straffälligen Finger.

Das Delikt

Sobald sich die Tür hinter ihr schloss, erhob ich mich mit einem gut gespielten, allseits sichtbaren „Ich muss jetzt mal aufs Klo“ und schlenderte wie zufällig zu dem vorübergehend verlassenen Tisch. Es war schon blöd. Was sollte ich denn stehlen? Auf dem Tisch stand angefangener Café Schwul. Der Gedanke, den angesaberten Kaffee von irgendjemand an mich zu nehmen, ekelte mich. Meine Finger ekelten sich auch.

Ich sollte die Taschen des liegengebliebenen Mantels filzen. Elegant mit den Fingern hineinschlüpfen, schnell wieder raus. Mit einer Zufallsbeute. Vielleicht einem Portrait des Liebsten. Oder einem zerknüllten Mahnschreiben. Oder einer Packung zuckerfreier Kaugummi. Musste mich nur trauen. Musste nur schnell sein.

Jetzt stand ich schon gefühlte 100 Stunden an dem fremden Tisch. Die anderen Gäste waren bestimmt schon auf mich aufmerksam geworden. Glotzen argwöhnisch meinen Rücken an. Tuschelten. Ich traute mich nicht, aufzusehen. Nahm die Kellnerin gerade den Telefonhörer ab? Zu so einem Raubzug gehörte es, unauffällig zu bleiben. Ja nicht die Nerven zu verlieren. Wenn ‚was nicht wie geplant lief, geschickt improvisieren.

Raus aus der Klemme

Mein Improvisationseinfall bestand darin, mich sofort zum Klo zu beamen. Dort schloss ich mich ein. Ich tat so, als ob ich was tat. Jeden Verdacht zerstreuend. Eine in die Ewigkeit gedehnte Zeit tat ich so, als ob ich was tat. Langsam musste ich mich wieder ‚rauswagen. Sehen, ob die Luft rein war. Ich lauschte. Keiner zu hören. Ich öffnete den Verschlag. Keiner zu sehen. Dann wollte ich schnell durch den Verkaufsraum hinaus ins Freie schlüpfen. Doch daraus wurde nichts. Zwei baumgroße Polizisten versperrten den Durchgang.

Sie forderten mich auf, meine Taschen auszuräumen. Das war eine Unverschämtheit, doch angesichts der Tatsache, dass sich nichts Belastendes in meinen Taschen finden würde, willigte ich ein. Hinterher konnte ich triumphieren. Während ich ausräumte, spürte ich sofort die Anwesenheit von etwas fremden in meiner Jackentasche. Der kitschige Armring von der nervenden alten Frau am Nebentisch. Da waren meine Finger aber flink gewesen. Hatten genau gepeilt, warum wir hier waren. Hatten einen guten Job gemacht. Leider.

Die Welt der Ideen stößt an die Verzweigungen der Wirklichkeit

Saublöd nur, dass ich am Morgen beschlossen hatte, gleich zweien meiner Teile etwas Gutes zu tun. Ein Nierenwärmer sollte meine Nieren schön kuschelig einwickeln. Da in meiner Garderobe Nierenwärmer fehlten, bediente ich mich des Korseletts meiner Frau. Sie musste es ja nicht merken. So ein Korselett konnte vorübergehend ein prima Nierenwärmerersatz sein. Elastisch schmiegte es sich an meinen Körper, reichte allerdings über die Nierenregion hinaus. Da es aber meiner Frau gehörte, schnitt ich es nicht zurecht, nahm es, wie es war.

Aber würden die Bullen, diese eifrigen Leibesvisitationsfreaks, das jemals verstehen?

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