Katastrophenfilme sind etwas Besonderes. Unter den Filmen mit dünner Handlung, leeren Charakteren und hemmungslosen Klischees gehören sie zu den Beliebtesten. Ob brennende Hochhäuser, ausbrechende Vulkane oder sinkende Schiffe. Immer aufwändig gemacht, darf man State of the Art Trickfilmtechnik erwarten.
In Filmen kann man sich ausprobieren. Mal zwei Stunden lang fühlen, wie es ist, Verantwortung zu tragen, verfolgt zu werden, mutig zu sein. Man kann sich als Bankräuber oder Polizist versuchen. Katastrophenfilme versprechen sichere Grenzerfahrungen, starke Gefühle: nahe an den eigenen Untergang zu gehen, um couragiert zu sein, Mitgefühl zu spüren oder ätzende Verachtung zu empfinden.
Katastrophenfilme funktionieren so:
Man lernt mühsam über einen ermüdend langen Zeitraum holzschnittartig skizziertes Personal kennen, um dann zuzusehen, wie die meisten davon krepieren. Die, die übrig bleiben, werden schulbuchmässig mit dem Notwendigsten aus dem Emotionsbaukasten Hollywoods ausgestattet, um ein Mindestmass an Empathie zu generieren. Darüber eine dicke Musiksoße. Hauptsache viel davon.
Roland Emmerich, der vollendete Durchschnittsfilmer
Nun schickte sich Blockbusterspezialist Roland Emmerich mit „2012“ an, noch einen oben drauf zu setzen, unter sklavischer Einhaltung des altehrwürdigen Rezepts. Noch größere Katastrophen, noch mehr wie gemalt aussehende Untergangsbilder, noch uninteressantere Figuren. Perfektioniertes Mittelmass.
2012: Effekte anstatt Schauwert
Wohl in der Annahme, der bisher aufwändigsten Computeranimation des Weltuntergangs liege ein unlimitierter Schauwert inne, wird man genötigt, sich ziemlich lange ziemlich viele ziemlich perfekte Katastrophen anschauen. Erdrisse bis hinunter zum glühenden Erdinneren. Überschwemmungen der höchsten Gebirge. Lodernde Vulkanausbrüche.
Mit viel Liebe gemacht: Arbeitsverschwendung in der Welt der Oberfläche
Ein Jammer, dass so viele talentierte Computeranimateure so enorm viel Zeit damit verbracht haben, etwas so ungemein Triviales so liebevoll perfekt zu programmieren. Emmerichs Untergangsbildchen bedeuten nur sich selbst, sie sind hohl wie die Charaktere des Films. Man kann genauer und länger denn je auf etwas gucken, das nichts weiter zu erzählen hat als das Offensichtliche. Lebenszeit von hunderten Computeranimateuren, gegossen in Oberflächlichkeit.
Wer hat’s erfunden? Der PC!
Früher konnte man noch staunen und sich fragen: „Wie haben die das nur gemacht?“ Heute weiss jeder Laie die Antwort wie aus der Pistole geschossen: Mit dem Computer. Zum Gähnen. Keine Fragen mehr offen.
Braver Ordnungshüter ‚Endzeitstimmung‘
Selbstredend lässt auch die Handlung nichts offen. Die Dialoge atmen nicht. Reibungen fehlen. Selbst den letzen kleinen Konflikt zwischen dem Ex-Ehemann und dem Jetzt-Ehemann müssen die Protagonisten nicht ausfechten. Emmerichs Katastrophe sorgt für Ordnung.
Wo steckt der wahre Feind? Hollywood hat ihn übersehen
Hollywood ist zu einem Zeitpunkt in der Lage, den Weltuntergang perfekt zu visualisieren, an dem reale Bedrohungen deutlich ihr wahres Gesicht zeigen. Hedgefonds, skrupellose Banker, Aktionäre. Echte Weltuntergangszenarien spielen sich an der Börse ab. Die Angstmacher von heute sind schwer zu verstehen, schwer zu dramatisieren, schwer zu visualisieren. Statt das Kinopublikum an die Wurzel ihrer Ängste zu führen, recycelt Emmerich bewährte Old-School-Rezepte.
Die Katastrophe und ihr Bezug zur Wirklichkeit
Bis in die 80er Jahre konnten Katastrophenfilme die aus der Bedrohung des Kalten Krieges entstandenen Ängste kanalisieren. Es ging darum, dass Dinge kaputt gehen, Menschen alles verlieren. Um die Frage, ob Menschen sich gegenseitig helfen, sich zusammenraufen oder ob sie sich nur um sich selbst kümmern. Was der Katastrophenfilm an Fragen aufwarf, traf auf Entsprechungen im wirklichen Leben.
Der Regisseur am Ende, zumindest am Ende der Parabel
Terrorismus und Kapitalismus bedrohen die Welt auf eine neue Weise. Der Katastrophenfilm Emmerichscher Ausprägung kann nicht mehr als Parabel dienen. Die emotionalen Klischees treffen nicht mehr auf Gegenstücke in der realen Welt. Da die Klischees zu schwach, zu skizzenhaft sind, um aus sich selbst heraus zu wirken, verlieren sie sich. Bei allem Bombast – die Wirkung von 2012 verpufft. Emmerichs Katastrophendinosaurier alter Prägung hat den Menschen von heute nichts mehr zu sagen. Es ist ein Weltuntergang ohne die Chance einer Kartharsis. Man stürzt nicht tief genug, um gereinigt wieder aufsteigen zu können. Alles bleibt hübsch harmlos. Zu wenig für einen Katastrophenfilm.