Seit gestern ist im „Max Ernst Museum Brühl“ die Ausstellung „Dark Splendor – Raum, Bild, Klang“ zu sehen. Lynch, der vor allem durch seine surrealen Filme international bekannt geworden ist, zeigt hier sein facettenreiches Schaffen als bildender Künstler. Die Ausstellung wird verlängert bis zum 18. April 2010.
Auf Fotos sieht man David Lynch oft mit einem bisweilen sehr ernsten Gesichtsausdruck, wie ein Sinnbild des nachdenklichen Künstlers in der Medienwelt. Man könnte sagen, Lynch bietet dem Betrachter das passende Gesicht zur Kunst – nachdem man als Rezipient das „Buch zum Film“ und den „Film zum Videospiel“ bei allen möglichen Gelegenheiten hinnehmen muß, endlich ein passender Benefit: Das ernsthafte Gesicht zur ernsthaften Kunst.
David Lynch-Justiz: Künstlerischer Ausdruck ohne Kompromisse
Als Filmemacher könnte man kaum kompromissloser sein als Lynch. In seinem Frühwerk „Eraserhead“ von 1977 hat er das nervende Geschrei seines Neugebohrenen und Angsterfahrungen verarbeitet. In seine damalige Wohnung war mehrere Male eingebrochen worden, die Atmosphäre der Angst davor hatte ihn beeinflußt.
Die Filme David Lynchs
In den Filmen David Lynchs spielen Traumsequenzen ein Rolle. Je weiter er sich als Regisseur entwickelt hatte, desto mehr hat er alle relevanten Trennlinien zwischen den Ebenen der Realität eingerissen: Zeit und Raum sind beliebig, Einstein hätte seine helle Freude daran. Der Zuschauer kann sich an keinen Gesetzmäßigkeiten, die Orientierung und Sicherheit geben würden, festhalten. Es ist, als zöge Lynch dem Betrachter einen Teppich nach dem anderen unter den Füßen weg – und das in verschiedene Richtungen. Denn sein Grundmotiv sind Situationen, über die man keine Kontrolle mehr hat. Das Spannende dabei ist, wie der Mensch reagieren wird, der in einer solchen Situation ist? In „Blue Velvet“ war die Antwort auf diese Frage noch relativ herkömmlich. In allen Filmen ab „Wild at Heart“ wird das hilflos-verblüffte Individuum mit dem schlimmsten Feind konfrontiert: Mit sich selbst über eine Spiegelung in einer (oft zwergenhaften) anderen Person.
Identitätswechsel und Zeitsprünge
In seiner Fernsehserie „Twin Peaks“ und von seinem Erstling „Eraserhead“, über „Der Elefantenmensch“, „Blue Velvet“, „Wild at Heart“, „Lost Highway“, „Mulholland Drive“ bis zu „Inland Empire“ hat er dieses Ausgeliefertsein des menschlichen Seins auf die Spitze getrieben: Die handelnden Personen seines Spätwerkes machen Identitätswechsel durch, verändern unter Umständen in einem schnellen Schnitt von einer Sekunde auf die andere ihren Aufenthaltsort, vollführen Zeitsprünge und wissen nicht, wie ihnen geschieht. Das ist kein Sience Fiction sondern eine folgerichtige Steigerung. „Der Wüstenplanet“ für Dino DeLaurentis und „Straight Story“ für „Walt Disney“ waren dem gegenüber Auftragsarbeiten, die aus diesem Schema herausfallen.
Verständlickeit versus künstlerischem Ausdruck
Während die ersten Filme erzählerisch traditioneller gestaltet waren, gab es ab „Wild at Heart“ einen Bruch. Lynch kam es nicht mehr auf den Unterhaltungsaspekt, auf Verständlichket durch eine konsistente Handlung an, sondern auf künstlerischen Ausdruck und ein Konzept, das keine Kompromisse mehr eingeht. Prägend mag hier sein Engagement im Hollywoodfilm „Der Wüstenplanet“ gewirkt haben, der ein kommerzieller Mißerfolg und ein Kompromiß gewesen war.
Surrealismus als Filmsprache
Das Surreale bahnte sich schließlich in „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ vollends seinen Weg. „Inland Empire“ treibt dieses Verfremdungsprinzip noch weiter auf die Spitze und ist im eigentlichen Sinne ein Experimentalfilm geworden. Die Ausstellung „Dark Slendor“, was man übersetzen kann mit „Dunkler Glanz“ oder „Dunkle Pracht“, schlägt eine Brücke zum Filmschaffenden, indem sie einige Kurzfilme aus seiner Studentenzeit und danach zeigt, die bereits sehr typisch sind für seine Art, Filme zu konzipieren.
Der Multimedia-und-Mixed-Media-Crossover-Künstler
Der Schwerpunkt liegt aber auf Lynch als bildendem Künstler in unterschiedlichsten Medien und mit verschiedensten Materialien: In Mischtechnik, als Druck, Lithografie, Zeichnung, Fotografie, Rauminstallation oder Musik. Wer sich den Filmer David Lynch erschlossen hat, wird gespannt sein auf den bildenden Künstler, der er immer auch war. Seine Filme sind als Gesamtkunstwerk zu betrachten, weil er hier als Designer Möbel entworfen oder Figuren – wie das surreale Baby aus „Eraserhead“ – entwickelt hat.
Surrealismus: Träume in Traumwelten
Lynch wandelt in diesen surrealen Welten, fast so, als suchte er sich selbst. Ob in Brühl ein Raum nach seiner Zeichnung gebaut wird, ob er in seinen Fotografien eher weniger zeigt und mehr Spielraum für die Phantasie des Betrachters läßt oder geheimnisvolle Werke als Zeichnung oder Bilder in Mischtechnik gezeigt werden – sie alle sind nicht nur Nachdenkstücke sondern auch Nachspürwerke, durch die man sich in die Traumwelt des Künstlers hineinversetzen kann.
Die Website als Gesamtkunstwerk
In den letzten Jahren hat Lynch eine lange Reise durch die USA unternommen, in der eine Vielzahl an filmischen Portraits innerhalb des so genannten „Interview Project“ entstanden sind. Dazu und zu vielen anderen Projekten gibt es eine umfassende Website – auch eine Art Gesamtkunstwerk – mit der man sich lange und intensiv auseinandersetzen kann.