Kennt Ihr Konfliktsimulations-Spiele? KoSims? Nein? Ihr habt in der realen Welt schon genug Ärger am Hals? Dann habt Ihr noch nie Diplomacy, also über die Herrschaft über Europa gespielt. Ich schon. Seit mehr als zwanzig Jahren.
Diplomacy ist ein Spiel, das von irgendeinem wahnwitzigen Genie erfunden wurde. Im Kern geht es um das Dominieren auf dem Spielfeld, daß das Europa rund um den ersten Weltkrieg ist. Du hast viele Staaten auf dem Brett, die haben Landesgrenzen und Seegrenzen, also unterschiedliche geostrategische Vorteile und Nachteile. Das am komplexesten auszusteuernde Land ist das deutsche Reich. Am besten, Du spielst mit so sieben Spielern, dann ist ganz Europa gesetzt.
Diskursive Diplomatie: Lernziel Kommunikation gegen Amokläufe
Der Pfiff an Diplomacy ist, daß Du reden mußt: Absprachen treffen, Bündnisse eingehen, um die Dominanz zu kriegen. Pacta sunt servanda. Oder auch nicht, was sich dann im weiteren Verlauf rächen kann.
Computerspiele und das Gleichgewicht des Schreckens
Im Prinzip ist es eine gute Strategie, verantwortungsvoll die Balance of Power zu erhalten, während man sich in Geheimpakten mit regional weit auseinander liegenden Gegnern verbündet, die aber bescheißt, um zum letzten vernichtenden Schlag auszuholen. Wozu man sich die Feinde der Verbündeten zunutze macht, mit denen man in noch geheimeren Pakten allierte.
Wie in der Politik: Geschacher hinter den Kulissen
Leider machen das die anderen Spieler auch gern, und dann wirds wirklich interessant. So ein Spiel kann sich lange hinziehen, ich habe schon über ganze lange Wochenenden Diplomacy gespielt. Drei Tage. In einem Haus. Wobei – wie gesagt – bei Diplomacy der Pfiff die Gruppendynamik ist, das Reden und Aushandeln.
Fernliga im Sinne sozialer Isolation und Entfremdung
Und Du machst Dir nicht immer Freunde, wenn Du Deine besten Freunde im Spiel bescheißt, daß die verkimmeln. Nun ja – wir sind alle entspannter geworden, und ich spiele Diplomacy nur noch in einer Fernliga. Da fällt leider ein wichtiger Faktor des Spieles, der wichtigste Aspekt der Kommunikation, der Beziehungsaspekt, also derjenige, der wichtiger ist als der Inhaltsaspekt der Kommunikation, leider fast völlig weg.
Das Miteinander in der Fernbeziehung: E-Mail rules
Das Diplomacy der neuen Zeit äußert sich nur in Mails, in denen die MitspielerInnen, von Rußland bis Taiwan, Dir Züge vorschlagen und nach Unterstützung für deren Pläne anfragen. Und dann kommt einmal pro Woche die Mail des Spielleiters mit dem neuen Stand, die besagt: Das Spiel geht weiter.
Kryptische Zeichensätze contra Klarheit
Eines von diesen Spielen, das noch immer in der Balance of Power-Phase ist, spiele ich schon seit anderthalb Jahren. Ein weiteres Spiel, begonnen im August, hab ich gerade eben verkimmelt. Die Mitspielerin aus Rußland schreibt nämlich im kyrillischen Zeichensatz.
Harter Code, weiche Tempi
Da hab ich ein Zeichen in deren Allianzvorschlag falsch gelesen, Spielzugsvorschläge werden mittlerweile in einem harten Code vorgetragen, da muß man halt aufpassen. Darauf aufbauend hab ich meinen Zug an den Spielleiter geschickt. Was dazu führen wird, daß das Deutsche Reich, das ich halte, in vier Zügen ausradiert sein wird. Tempi passati.
4 Responses to “Im KoSim killed: Lost in Translation”
Hast Du denn schonmal im Sinne von Winnenden daran gedacht, das komplette Spiel in die Luft zu sprengen? Sei mal ganz ehrlich.
Das Spiel Diplomacy in die Luft sprengen?
Das geht nicht. Es ist technisch und dynamisch nicht möglich.
Bei Diplomacy geht es um Interaktion und um komplexe Gruppendynamik, die im Spielzielsinn auf die Dominanz im Sinne der Regelerreichung fixiert ist.
Sprengen kann man da nur außerhalb der Regeln.
Wenn ich ganz ehrlich bin, muß ich bekennen, daß ich die allermeisten Diplomacy-Spiele gewonnen hab.
Ebenso wie die allermeisten Risiko- und Straegospiele.
Deswegen spiele ich auch kein Schach. Es langweilt mich, ich weiß nach dem dritten Zug sofort, worauf der Gegner anspielt, wenn er einen Plan hat.
Schach ist übrigens ein langweiliges Spiel, auch deshalb weil es als Determinante berechenbar geworden ist, es gibt nach Bobby Fischer, der ein verdammter Irrer ist, keine inspirierte Spitzenleistung mehr im Schach; die Rechner rechnen jetzt alle Zugfolgen aus, besser als Kasparow sie jemals zog.
Diplomacy daggegen – ganz anders: Es ist halt das persönliche, das ins Spiel reinspielt. Es ist insoweit echter Krieg im Spiel.
Diplomacy ist Who’s afraid of Virgina Woolfe sublimiert als Brettspiel.
Ich nehme das mal als ein „Ja“.
Nimm es eher als ein entschiedenes „Keine Ahnung!“ mit Namendropping..