Kaum zu glauben, es mutet an wie ein Witz. Oder wie das Produkt eines irre gewordenen Computers, der endlos Zeilen und Worte wiederholt. Es könnte auch die Fortsetzung der schriftstellerischen Aktivitäten von Jack Nicholson in „Shining“ sein. Jedenfalls: Kein Fake, es ist die Wahrheit:
Michael Jackson belegt posthum die Top 5 bis Top 10 der Hitparaden in vielen Ländern. Dabei steht „Thriller“ aktuell nur in den USA auf Platz 1. „Bad“ ist weit oben, in Deutschland und England auf Platz 2, in den USA auf Platz 3.
Michael Jackson: Mensch und Werk siamesisch verbandelt
Die Kritik hatte nach dem Tod Michael Jacksons nicht nur sein Leben abschließend bewerten wollen sondern auch sein musikalisches Erbe. Welches Album war das beste? Wann begann der Majestro nachzulassen?
In der deutschen Journallie – angefangen beim „Rolling Stone“ über „Musik Express“ oder „Sounds“ bis hin zum „Stern“ – stand zu lesen, dass „Thriller“ eindeutig das beste Album wäre, beim Vorläufer „Off the Wall“ habe sich Michael Jackson erstmal warm gelaufen und „Bad“, das dritte Album unter Jazz-Produzent Quincy Jones, habe – zwar auf hohem Niveau – bereits Ermüdungserscheinungen gezeigt. Es sei nichts Neues mehr gekommen, auch das Songwriting habe nachgelassen. Entweder mit „Bad“ oder mit „Dangerous“, bei dem Teddy Riley modern Regie geführt hatte, habe der musikalische Niedergang begonnen. Soweit die etablierte Kritik.
Jacko/Wacko als Dr. Jekyll/Mr. Hyde?
Wer aufmerksam die Argumentationslinien der einzelnen Veröffentlichungen verfolgt hat, konnte bemerken, dass es offenbar kaum noch möglich war, den Musiker vom Menschen Michael Jackson oder Freak „Wacko Jacko“ zu trennen. So war vielerorts in Parallelbeschreibungen über den musikalischen und menschlichen Niedergang zu lesen oder über persönliche Schwierigkeiten. Unausweichlich streben die musikalischen Einordnungen mancherorts darauf hin, dass ein Mensch, der dermaßen desolat lebt, keine wegweisende Musik mehr machen könne.
„Thriller“, „MTV“ und der „Walkman“
Auch darüber, wie unendlich erfolgreich und damit für etwas musikalisch Neues erdrückend „Thriller“ gewesen war – eben weitaus erfolgreicher als alle anderen Alben, die jemals erschienen waren – war viel zu lesen. Dieser Erfolg war im Rückblick betrachtet sowieso nicht zu wiederholen, weil „Thriller“ glücklicherweise parallel zu MTV und dem Walkman auf den Markt kam und das die Verkäufe unglaublich gepusht hat.
Der King des Multi-Media-Pop
Es war in der Zeit in amerikanischen Großstädten hip mit dem Walkman durch die Straßen zu gehen, und Jako zu hören. Und die junge mediale Form „Musik-Video“ hatte mit den Werken Michael Jacksons einen frühen Höhepunkt. Übrigens wird dies in der Berichterstattung zwar erwähnt, aber dass Michael Jackson ein multimedialer Künstler war, der mit großer Konsequenz vorging, ist unterbelichtet.
Es scheint schwierig zu sein, die reine kreative Potenz der Werke wertfrei anzusehen. Für mich sieht der musikalische Werdegang Michael Jacksons allerdings etwas anders aus.
Der Befreiungsschlag: „Off the Wall“
Michael Jackson war zunächst mit seinen Brüdern in der Gruppe „Jackson Five“ und auch als Solokünstler sehr Motown-geprägt. Motown war das Plattenlabel der farbigen Musiker und hatte seine musikalischen Standards. Aus diesem Konzept konnte sich Michael Jackson mit dem anspruchsvollen Produzenten Quincy Jones und dem Album „Off the Wall“ lösen. Es war der erste Schritt zur musikalischen Eigenständigkeit. Schon ein Millionenseller, im Rückblick betrachtet aber noch beeinflußt von der Vergangenheit, von Soul und Disco dominiert und damit noch lange nicht so einmalig und profiliert wie die nachfolgenden Werke.
„Thriller„: Hitmaschine und Videomonster
Der Nachfolger „Thriller“ ist das in jeder Hinsicht dimensionssprengende Album des Pop, meistverkauft und als Synthese verschiedener Musikstile zum ersten Mal die Definition und Ausprägung eines ganz eigenen unerhörten Stils – und das stil- und Kulturübergreifend in Perfektion. Während Michael Jackson bei „Off the Wall“ als Komponist kaum in Erscheinung trat, hat er bei Thriller bereits 4 der 10 Lieder selbst geschrieben.
„Bad“: Am Ziel angekommen
Das Album aber, das noch klarer auf den Punkt kam und kein schwaches Stück mehr enthielt war „Bad“, das letzte Album mit Quincy Jones, dem Mann, der bereits Jazz-Geschichte geschrieben hatte. Bei „Bad“ verbesserte sich Michael Jackson als Songwriter, wurde auch präsenter, das Album wirkte homogener, bot aber in Produktion und Arrangement weiterhin neue Ansätze. Die Konzeption der Durchmischung verschiedener Musikstile wurde fortgeführt, das Rad also nicht neu erfunden. Dennoch erscheint mir in der Kollaboration Jackson/Jones nicht das medial verhypte „Thriller“ als der musikalische Höhepunkt sondern das Nachfolgealbum „Bad“.
„Dangerous“: Neue Wege zu alten Ufern?
Danach kam „Dangerous“, das mit anderen musikalischen Mitteln hiphopiger und zeitgemäßer daherkam. Einen musikalischen Stillstand oder gar Niedergang kann ich auch hier nicht ausmachen. Das Songwriting, die Homogenität und die Eigenständigkeit der musikalischen Konzeption von „Thriller“, „Bad“ und „Dangerous“ befinden sich auf einem hohen Level.
Das perfekteste Album bleibt dabei jedoch „Bad“, obwohl „Thriller“ historisch gesehen für sich den Verdienst in Anspruch nehmen kann, eine neue crossover-musikalische Populärform zwischen Soul, Rock, Pop und Disco kreiert zu haben und damit die Popmusik für diese Zeit definiert zu haben. Auch Kollege Prince blies zu jener Zeit – wenn auch facettenreicher – ins gleiche musikalische Horn einer musikgenre-übergreifenden Mixtur.
„HIStory“, „Blood on the Dancefloor“ und „Invincible: Das Spätwerk
Was auf „Dangerous“ folgte, steht auf einem anderen Blatt. Die qualitative Durchgängigkeit war danach nicht mehr gegeben. Wiederholungen und Eigenplagiate schlichen sich ein, und es schien dem Künstler immer schwerer zu fallen ein ganz normales neues Album zu veröffentlichen.
So bestand die Doppel-CD „HIStory“ zur Häfte aus altem Material oder „Blood on the Dance Floor“ zur Hälfte aus Re-Mixen älteren Materials. Das letzte Album „Invincible“, das aktuell nur in den USA in der Top 10 ist, litt sogar unter einem beschränkten Songwriting und vor allem einer nachlässigen Repertoireauswahl.
4 Responses to “Jacko: Scharfe Charts”
Sollte man umtexten: Death sells?
Ich dachte immer das gilt nur für bildende Künstler also Leismaler und nicht Lautmaler…
Sehr treffende Bemerkung! Oder verallgemeinernd so: „Seath sells.“ Denn beides hat ja Zugkraft. Aber für den Artikel hier ist passt Dein Spruch wie die Faust aufs Auge.
Auch wenn ich die Einschätzung zum Spätwerk nicht teile, danke ich für diesen Beitrag! Deshalb möchte ich auf diese Alben kurz eingehen.
„HIStory“ halte ich für ein absolutes Meisterwerk. Songs wie „Scream“, „Earth Song“ „They Don’t Care About Us“ oder „Stranger In Moscow“ sind unerreicht und weder ein Wiederholung, noch ein Eigenplagiat, sondern zeitlose Diamanten. Obwohl ich das Album an ersten Tag gekauft habe, entdecke ich immer noch neue Aspekte in den Songs. Das Album ist das mit Abstand biographischste Werk und das erste Album, was seine traumatischen Ereignisse von 1993 verarbeitet. Absolut unterschätzt. Und dass als BONUS-CD (nicht zur Hälfte, wie sie missverständlich sagten, ohne zu erwähnen, dass es als Doppel-Album erschienen ist) auch noch Greatest Hits enthält, sehe ich nicht negativ, im Gegenteil. Ein Geschenk an die jüngeren Fans.
„Blood On The Dancefloor“ war ein Remix-Album, was explizit dazu diente, um schneller aus dem ungeliebten Sony-Deal rauszukommen, zählt also nicht als volles Album.
„Invincible“ steht auf einem eigenen Blatt. Aufgrund der schwerwiegenenden Differenzen zwischen Sony-Music Boss Tommy Mottola und Michael Jackson wurde seitens der Plattenfirma keine Promotion gemacht und keine weitere Single veröffentlicht. Mittlerweile bin ich sogar der Meinung, dass „Invincible“ eins der am meisten unterschätzten Alben der Popmusik Geschichte ist. Es wurde schlecht und tot geredet. Zu unrecht! Jackson’s Vielseitigkeit gepaart mit dem Können von Produzentenlegende Rodney Jerkins oder Kolaborationen mit Santana und R. Kelly haben ein Album hervorgebracht, was mindestens Potential für mindestens sechs Single-Releases hat. Die meisten Alben, die erscheinen, haben gerade mal zwei, wenn es gut läuft.
Es ist leicht, in die Falle zu tappen und zu sagen, das oder dieses Album ist aber nicht mehr so gut wie das andere… Schwieriger ist es das Gesamtwerk unabhängig von seiner eigenen Präferenz und Lebenssituation (Stichwort: Walkman) neutral zu beurteilen.
Ich glaube, bei allem, was über ihn gesagt wird. Er ist trotzdem stark unterschätzt. Als Künstler und als Musiker.
Vielleicht werden kommende Generationen eher in der Lage sein, sich ein neutrales Urteil zu bilden. Wenn der Schmutz der Hetzkampagnen verblasst ist und die Kunst als das da steht, was sie ist.
Ich wünsche es ihm.
Ich relativiere meine Kritik am „HIStory“-Album gerne. Ich finde Michael Jackson war ein Über-Musiker. Es mag sein, dass er als Musiker unterschätzt wird, weil er ja auch ein unglaublicher Sänger, Tänzer, Performer und anderes war.
Alles, auch das weniger Gute, was er gemacht hat, liegt meist meilenweit über dem, was die Konkurrenz hervorgebracht hat. Aber innerhalb seines Schaffens gibt es schon Unterschiede, die vor allem musikhistorisch erkennbar werden. So hat er ab „Off the Wall“ im Grunde eine neue Art von Popmusik definiert, die so vorher nicht da gewesen ist. Ich kenne jemanden, der sehr musikversiert ist und „Thriller“ für sein bestes Album hält. Wohl weil er da – popmusikhistorisch – seine neue Musik zum ersten Mal zur Blüte geführt hat.
Ich bleibe jedoch dabei, dass die beiden Alben darauf die perfekteren, diejenigen ohne Schwachstellen waren. Wie auch immer, ich gebe zu bedenken, dass Michael Jackson bis „Dangerous“ immer wieder Neues geboten hat, und zwar ein ganzes Album oder Doppelalbum lang, was kaum jemand schafft. Und das in einem Musikgenre wie der Popmusik, die oft wenig durchdacht und meistens oberflächlich daherkommt.
Die Songs von „HIStory“, die Du nennst, sind natürlich unglaublich gut, jedoch waren sie für mich – außer vielleicht „Scream“ – nichts Neues mehr. Wie gesagt, das musikalische Niveau seiner gesamten Musik ist verblüffend, wenn man jedoch als Messlatte nimmt, inwieweit er bezogen auf die Musik, die sich um ihn herum weiterentwickelt hat, innovativ war, dann gab es für mich eindeutig nach „Dangerous“ nichts wirklich Neues mehr. Ich beziehe diese Einschätzung immer auf ein ganzes Album/eine ganze CD und habe dabei nicht einzelne Stücke wie „Scream“ herausgegriffen.
Auf „Invincible“ hat er, gerade was die Beats anbelangt, wieder was Neues probiert. Er hat da einmal mehr gezeigt, was für ein genialer Sänger er war. Aber: Diese Beats waren für die Popmusik inzwischen nicht mehr neu. Es gibt ja sogar Kritiker, die sagen, dass „Dangerous“ schon nichts Neues mehr gebracht hat. Ich bewerte „Dangerous“ dem gegenüber positiver, weil alles zusammen genommen – sein Gesang, das Rhythmus-Feeling, die Kompositionen, die Arrangements und die Kompositionen – dann doch zu etwas Einmaligem geworden ist, was es so damals nicht gegeben hatte.
Zum Zeitpunkt als „HIStory“ herausgekommen war, gab es nicht nur die ganzen tollen Michael Jackson-Alben von vorher schon, sondern er hatte die gesamte Musikszene beeinflußt. Deshalb habe ich geschrieben, „HIStory“ sei ein Selbstplagiat, was vielleicht etwas verkürzt beschrieben ist. Die Songs waren zwar zum Teil hervorragend, aber in ihrer Gänze nicht mehr neu. Michael Jackson war mal musikalisch ein Motor für die gesamte Popmusik gewesen. Zum Zeitpunkt von „HIStory“ war das nicht mehr der Fall.
Bei „Invincible“ hätte ich definitiv einige Songs einfach gestrichen, es sind mir zu viele Schnulzen drauf. Das Songwriting läßt zum Teil zu wünschen übrig, es enthält weniger Produktionsideen als die anderen Alben – kurz: Sein schlechtestes Album nach den vorherigen Meilensteinen. Es enthält jedoch einige hervorragende Songs. Es mag auch sein, dass es unterschätzt ist, aber der Meister selbst hat Jahre vorher mit seiner Musik die Latte auf ein schwindelerregendes Niveau gelegt. Daran muß man ihn messen. Im übrigen glaube ich, dass er selbst sehr gut gewußt haben wird, ob und wann er gut war. Er wird gewußt haben, das sein letztes Album zu Lebzeiten nicht mehr der große Wurf vergangener Zeiten war.
Im Artikel hatte ich über seine Musik geschrieben und nicht berücksichtigt, wie es ihm persönlich gegangen ist – das wäre eine ganz andere Geschichte. Ich wollte den Musiker kritisch aber gerecht würdigen, weil ich der Meinung bin, dass viel zu wenig über sein Künstlertum geschrieben wurde. Da sind wir einer Meinung.