Unter all den Möglichkeiten, etwas mittels eines Stiftes zu Papier zu bringen, hat uns diese hier tatsächlich am meisten erstaunt. Es handelt sich um einen Kugelschreiber, der sich vom dünnen Schaft am Schreibende nach hinten verdickt. Warum verdickt er sich, was soll das? Weil dort hinten eine durchsichtige Kapsel integriert ist, in der sich ein lebendiger Minikaktus befindet. Und der braucht zumindest etwas Platz.
Wir standen da und hatten Mitleid. Wir konzentrierten uns unmenschlich, um die Hilferufes des gefangenen Kaktus‘ zu hören. Vergeblich. Immer wenn etwas Totes etwas Lebendiges umschließt, wird es denkwürdig.
Der Kugelschreiber ist aus Plastik. Die Prägungen, die pflanzliche Elemente andeuten, wirken gefällig wie auch das Hellgrün als Hauptfarbe, die den Blick anzieht. Sie suggeriert Frische und Lebendigkeit. Der hellgrüne Kunststoff ist matt glänzend, das Schreibende nur matt in einer dunkleren dem Olivgrün verwandten Farbe. Die Lamellierung der Abschlußkappe, hinter der sich der profane Kugelschreiber versteckt, gemahnt entfernt an das Corporate Produktdesign des großen Stifteherstellers, der dieses Schreibgerät nach hierhin importiert hat.
Es ist nicht preiswert: 7,95 Eur. Dafür erhält man einen Stift, der besonders aussieht, eine Besonderheit in sich trägt aber ansonsten normal schreibt. Wir könnten es auch weniger freundlich ausdrücken: Das eine Ende – das mit dem Kaktus – ist schön. Es lädt ein zu einer Betrachtung über Leben und Tod, über Freiheit und Gefangenschaft. Es könnte unter Umständen deshalb aber auch ein bitteres Ende sein. Das andere Ende ist profan und hässlich. Es hat keine gefälligen Formen, keine schöne Farbe. Beide Enden wollen uns die Dualität des Lebens nahebringen: Schönheit und Hässlichkeit, Weltlichkeit und Transzendenz, Leben und Tod. Ach ja, wo waren wir gleich noch stehen geblieben? Der Kulli:
So ausgerichtet wirkt dieses Schreibgerät wie ein instellarer Kugelschreiber. Es hat Dynamik, es treibt die Diskussion darüber, was man mit Leben tun darf auf die Spitze. Das dünne Ende, zwischen Ringfinger, Mittelfinger und Zeigefinger geführt, hat den richtigen Durchmesser, das dicke ist etwas zu umfangreich und liegt schlecht auf dem Zwischenraum zwischen Daumen und Zeigefinger auf. Das Material wirkt nicht unangenehm.
Der Minikaktus befindet sich in einer durchsichtigen Kapsel aus Plexiglas. Die Konstruktion nötigt uns eine gewisse Anerkennung ab: Der obere Teil wirkt wie ein kirchliches Gewächshaus, der untere scheint eine Art Substrat zu sein, in dem der Kaktus tatsächlich wächst. Wenn man diesen Teil wässert, was man alle 2 Monate tun sollte, dringt Feuchtigkeit ins Innere.
Dieser Kaktus stand fast zwei Monate ohne Wasser in unserer Schreibstube. Dann haben wir ihn forschriftsmäßig gewässert und konnten beobachten, dass er wächst. Technisch funktioniert das Prinzip. Es scheint sich also jemand Gedanken darüber gemacht zu haben, wie dieses Leben über einen längeren Zeitraum erhalten werden kann. Dies fanden wir als zweite Tatsache erstaunlich.
Wieder ließen wir unsere Gedanken schweifen, die uns vom eigentlichen Thema, des Schreibens und seiner Voraussetzungen, abbrachten: Diesmal diskutierten wir über Marketingaspekte. In was für einer Welt leben wir? In einer Welt, in der es zwanghaft um Aufmerksamkeit geht. Wer nicht auffällt, scheitert. Ja ist das denn die Möglichkeit? Und darum kreiert man ein an einer Seite durchaus durchdachtes Produkt, um es an der anderen Seite, der Heimat der Schreibfunktionalität, jämmerlich scheitern zu lassen? Wir bekamen beide gleichzeitig Herzklabaster ob der Folgerichtigkeit unseres Gedankengutes.
So war der Kauf des Kugelschreibergefängnisses in einer heruntergekommenen Fußgängerzone, die uns direkt die hässliche Fratze des im Niedergang befindlichen Kapitalismus entgegenreckte, für uns ein Lehrstück in vielerlei Hinsicht. Effekt statt Qualität, Verschwendung wertvoller konstruktiver Fähigkeiten, die man z.B. besser für Aufforstungsprogramme oder die Rettung des Regenwaldes hätte einsetzen können.
4 Responses to “Kuriose Schreibgeräte: Der Kugelschreiber mit Wow-Faktor”
Finde ich eine Haltung, über die man sprechen kann. Hegen und pflegen als Erziehungsziel? Keine Frage, das ist unterstützenswert. Aber was machst Du, wenn die Schulkinder den Kaktus plattwalzen, vierteilen oder rauchen wollen?
@Rolf:
Den Kaktus rauchen?
Ich fürchte, Du verwechselst die Pflanze. Derlei Kakteen werden gefressen, bis man kotzt.
Aber dann …
http://de.wikipedia.org/wiki/Peyote
…ja dann…
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