President Donald TrumpJordan B. Peterson ist ein kanadischer Hochschulprofessor der Psychologie, Buchautor, Vortragsreisender, YouTuber und Podcaster. Er hat seit 2016 für viel Aufmerksamkeit vor allem auf YouTube gesorgt, weil er sich gegen die Sprachregelung bezüglich intersexueller Personen gewandt hatte und damit den Nerv rechter Wähler traf. In den Medien erscheint er als konservativer Psychologe, der für von ihm ausgemachte gesellschaftliche Fehlentwicklungen ausschließlich „radikal linke“ Kräfte verantwortlich macht. Zugleich hat er mit seinem Wirken in alten und neuen Medien die Zielgruppe der männlichen, weißen und unzufriedenen Amerikaner durch Lebenshilfetipps für sich gewonnen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind gesellschaftlich betrachtet ein zweischneidiges Schwert, das zu Kontroversen führt. In der Intelligenzforschung beispielsweise wird seit Jahrzehnten auch daran geforscht, was die genetischen Faktoren der Intelligenz seien. Manch ein Forscher kommt dann zu dem Ergebnis, dass Asiaten genetisch bedingt intelligenter seien, oder etwa weiße Amerikaner intelligenter als farbige Amerikaner. Der jeweilige Forscher verteidigt das Ergebnis seiner Wissenschaft als wertfreies, neutrales Forschen. Er könne nichts dafür, dass die Realität sei wie sie gemäß seiner Forschung eben sei. Andererseits werden die Erkenntnisse der Forschung in die Gesellschaft getragen und führen dort zu Kontroversen, weil die Forschung als diffamierend empfunden wird. Abgesehen davon, dass Forschung und Wissenschaft keine absoluten Wahrheiten vermitteln, sondern gemäß einer bestimmten reproduzierbaren Methodik, ein Ergebnis liefern, das sehr von dieser Methodik abhängig ist, ist es kaum möglich, einer breiten Öffentlichkeit differenzierte Ergebnisse zu vermitteln. Die Aussagen komplexer Studien werden in den Medien auf wenige Sätze reduziert, die in der Öffentlichkeit haften bleiben.

Das „Intellectual Dark Web“ (IDW)

Genau das ist der Umstand, der das öffentliche Wirken von Prof. Dr. Jordan Peterson problematisch macht. Des öfteren hört man ihn in kontrovers geführten Interviews den Satz sagen „Das habe ich (so) nicht gesagt.“ Sachdienlicher wäre es aber, er hätte gesagt, „das habe ich so nicht gemeint“. Denn gerade bei seinen öffentlichen Vorträgen auf der Bühne vor einem Publikum bleibt dort nur hängen, was das Publikum versteht oder an das es sich später erinnern kann. Das sind Aussagen wie, dass die „radikal Linke“ an den amerikanischen Hochschulen eines der größten gesellschaftlichen Probleme sei. Das Publikum ergänzt in Gedanken, dass im Gegenzug alles, was Donald Trump und die Republikaner machen, dem entgegenwirkt und also gut für die Gesellschaft ist. Peterson wird meist von Konservativen eingeladen und wirkt daran mit, den Riss in der amerikanischen Gesellschaft zu vertiefen. Fast schon demonstrativ kritisiert er konservative oder rechte Tendenzen kaum, auch wenn er sich etwa von der extremen „Alt-Right“-Bewegung abgrenzt. Peterson ist so eine sehr einseitige intellektielle Stimme der Konservativen in Amerika geworden und reiht sich damit ein in eine Reihe anderer meinungsbildender Sprecher wie etwa Ben Shapiro, Eric Weinstein, Sam Harris, Joe Rogan oder Dave Rubin, wobei deren politische Ausrichtung recht unterschiedlich ist. Eric Weinstein und Joe Rogan sind linksliberal, Dave Rubin konservativ, Sam Harris irgendwo dazwischen. Genannt werden diese Intellektuellen, die über die sozialen Medien wie YouTube und Audio-Podcasts den etablierten Medien meinungsstark Konkurrenz machen wollen, das „Intellectual Dark Web“. Meist stehen oder standen sie wegen ihrer divergierenden Meinungen entweder in Konflikt mit den Medien oder dem Hochschulbetrieb. Das nachfolgende Video von YouTube-Talker Joe Rogan mag Beleg für die aufgeheizte Debattenkultur in Amerika sein. Darin ist die Trump-Unterstützerin Candace Owens zu sehen, die den menschgemachten Klimawandel postfaktisch in Abrede stellt. Rogan arbeitet heraus, dass ihre Meinung nicht auf Fakten basiert, zugleich gibt er deutlich zu verstehen, dass man gegen die Erderwärung etwas tun kann:

Jordan Peterson wird zum gleichen Thema „Klimawandel“ befragt. Während Candace Owens durch Inkompetenz in Sachfragen auffällt, behauptet Peterson, sich mit dem Thema auszukennen und zeichnet ein fatalistisches Bild: eine politische Einflußnahme und internationale Einigung in Fragen der Maßnahmen gegen die Erderwärmung sei nicht möglich. Er behauptet, das Thema wäre zu komplex, um handeln zu können. Hier ein typischer Dialog mit einer Fragestellerin, der auf Konfrontation ausgerichtet isz, in der Sache aber nichts bringt:

Einseitigkeit der Social-Media-Denker

Die konservativen Redner des sogenannten „Intellectual Dark Web“ halten sich mit Kritik an Donald Trump zurück. Ihre Kritik ist meist einseitig gegen „links“ gerichtet, wobei man als Europäer damit fast zwangsläufig die Frage verbinden muss, was in Amerika mit „links“ gemeint ist. Meist eint die Vertreter verschiedener politischer Ansichten ihre Opposition gegen den vermeintlich links dominierten Hochschulbetrieb bzw. die Einschränkung freier Meinungsäußerungen auch in den etablierten Medien. So hat sich im Web eine starke alternative Medienmacht etabliert, die auf eigenen Kanälen ihre Meinung sagt. Die Medienlandschaft wird dadurch belebt. Auffällig ist, dass die meisten dieser starken Stimmen regierungsfreundlich und gegen links sind. Ben Shapiro etwa, hält von Donald Trump zwar nichts, sagt in einem Podcast, er würde seine Frau nicht alleine mit Donald Trump in einem Raum lassen, seine öffentlichen Auftritte jedoch sparen Kritik an den Republikanern aus. Zumal er in einem Podcast einräumt, ihn trotz seiner Aversion aus politischen Gründen doch zu wählen, was er bei der letzten Wahl aber nicht getan hat. Shapiros Bücher tragen Titel wie: „Brainwashed: How Universities Indoctrinate America’s Youth“, „Primetime Propaganda: The True Hollywood Story of How the Left Took Over Your TV“ oder „Bullies: How the Left’s Culture of Fear and Intimidation Silences America.“ Die Einseitigkeit, die kluge Denker wie Shapiro oder Peterson in die Gesellschaft tragen, mag spannend und aufregend sein, weil sie konfrontativ zu Widerspruch anstachelt, sie schafft jedoch eine unterkomplexe Schein-Realität und vertieft damit die gesellschaftliche Kluft. Denn Amerika ist nicht als homogenes Land beschreibbar, das ein Hauptproblem hat, an dem sich alles Beklagenswerte fest macht. Amerika kann nur über seine Polarität zwischen Modernität und Tradition beschrieben werden. Eine politische Richtung trägt nicht die Schuld, welche Probleme das Land hat. Amerika ist ein vielschichtiges, sehr heterogenes Land mit einem extremen Wechselspiel verschiedener Kräfte auch jenseits von „links“ und „rechts“. Dabei werden manche öffentlich verbreiteten politischen Aussagen nicht ihren intellektuellen Möglichkeiten gerecht. Der Name der ultrarechten Webseite „InfoWars“ von Alex Jones, der Verschwörungstheoretiker ist und auch an UFOs glaubt, ist in Amerika zum Programm geworden: Diskurse und selbst wissenschaftliche Erkenntnisse, wie Peterson sie nutzt, stehen dabei schwerpunktmäßig nicht mehr im Dienst von Erkenntnisgewinn und Verobjektivierung, sondern im Gegenteil, sie sind Bestandteil eines informationellen polarisierenden Kriegs, wollen Deutungshoheiten an sich ziehen und verstärken mit pointierten Aussagen vor einem oft überforderten Publikum die Spaltung der Gesellschaft. Das soll auch heißen: In den meisten Fällen sind die begabten Redner Jordan Peterson und Ben Shapiro weitaus klüger als viele ihrer Zuhörer. Dem müssten sie Rechnung tragen durch eine differenziertere Darstellung des politischen und gesellschaftlichen Gesamtbildes – der Effekt scheint ihnen aber wichtiger zu sein. Diese kommunikative Mechanik kann man „Medienschicksal“ nennen oder „bewusste Agitation“.

Links und rechts im Ringelreigen

In diesem Video etwa wird die Frage aufgeworfen, warum „die Linke“ Jordan Peterson hasst:

Dies wird in einzelnen Punkten ausgeführt, wobei der wesentlichste oder zumindest augenfälligste Punkt gar nicht behandelt wird: „Die Linke“ mag Peterson deshalb „hassen“ oder zumindest gegen ihn sein, weil er sie hasst. Dass Peterson offenbar in seinem Hochschulwirken als, wie er selbst einmal ausgeführt hat, unter Umständen einziger konservativer Psychologie-Professor unter „linken“ Weltbildern zu leiden hatte, hat dazu geführt, dass er in jedem seiner Vorträge gegen die sogenannten „radikal Linken“ demagogisiert. Er ist dabei undifferenziert und seine Belegführung holpert oder ist nicht vorhanden. Was aber hängen bleibt, ist wie im obigen Video von Lauren Chen, dass „die Linken“ Jordan Peterson hassen würden, zum Beispiel weil er die Wahrheit über sie sagt. Lauren Chen sagt übrigens in ihrem Kanal über sich selbst: „Likes: Free markets, Dislikes: Vegans“. Man kann zu dem Schluß kommen, dass selbst fundierte Denker wie Peterson sich wenig Gedanken darüber machen, wie man ideologische Spaltung in einer überhitzten politischen Atmosphäre vermeiden kann.

Jordan Peterson und Donald Trump

Jordan Peterson passt in seiner verbalen Aggressivität gut zum amerikanischen Präsidenten Donald Trump und allgemein betrachtet zum Zeitgeist, Inhalte emotional und wütend zu vermitteln. Hört man dem zornigen Jordan Peterson zu, offenbart sich auf den ersten Blick zweierlei: er ist ein fundierter Denker, der etwas zu sagen hat, und er hat die Wut im Bauch, die sich gegen die von ihm sogenannte „radikal Linke“ an amerikanischen und kanadischen Universitäten richtet. Was als seine übergreifende Botschaft bei Zuhörern hängen bleibt, ist, dass die Gesellschaft durch falsche Sichtweisen des politisch linken Spektrums immer mehr beeinträchtigt wird. Damit liegt der Schluss nahe, dies als politische Rechtfertigung der Trumpregierung zu betrachten. Ausgangspunkt für Peterson ist die Debatte über Geschlechtsneutralität und Transgender-Identität. Auch hier hat er in seiner plötzlichen Sachlichkeit wenig empathisch das (politische) Schicksal von intersexuellen oder Transgender-Personen ausgespart und stlisiert sich selbst als Opfer. Tatsächlich hat Peterson seinerseits unter politischer Agitation von links zu leiden, weil er inzwischen von seinen Gegnern zur Hassfigur stilisiert wurde.

Jordan Petersons Leistungen

Man muss Jordan Peterson zwangsläufig im Zusammenhang mit der politischen Großwetterlage in Amerika sehen, von der er in Sachen Aufmerksamkeit und auch finanziell profitiert. Wie vor ihm der Rapper Eminem und der Unternehmer Donald Trump verleiht der Intellektuelle der Wut einer schweigenden Mehrheit eine Stimme. Das Neue an Peterson als Figur des öffentlichen Lebens: Er hat scheinbar durchdachte Antworten für fast jedes Problem, er sagt Dinge, die vielen weiterhelfen, er entschlüsselt komplizierte Zusammenhänge. Bei guter Tagesform klingt er brillant und begeistert die Massen. Doch je länger er in der Öffentlichkeit steht und seine Thesen wiederholt, je länger er auch lang anhaltender Kritik ausgesetzt ist, desto abgedroschener klingt manches, was er referiert. Für konservative Zuhörer in Amerika ist Peterson allerdings ein Glücksfall:

  • Als Hochschulprofessor verfügt er über einen fundierten theoretischen Background.
  • Als praktizierender Psychologe weiß er um die konkreten menschlichen Probleme seiner Zielgruppe.
  • Als Wissenschaftler hat er über die Narrativa und Geschichten der Bibel geforscht und hat dazu auf YouTube Online-Vorträge veröffentlicht. Er hat also den in Amerika so wichtigen religiösen Bezug.
  • Als Redner kann er gut darstellen und erklären, und er kombiniert Wissen aus Psychologie, Soziologie, Pädagigik und Biologie mutig zu einer interessanten Synthese.
  • Als Person tritt er selbstsicher und dominant auf. Er vertritt seine Positionen leidenschaftlich, was ihn von den meisten anderen Rednern unterscheidet.

Gewalt und Leidenschaft

Petersons Auftauchen in der Medienlandschaft ist ein Lehrstück in Sachen politischer Agitation. Das politisch Richtige oder Korrekte in Vorträgen zu sagen, erzeugt bei vielen im Normalfall eher Langweile. Interessanter erscheint es da, konfrontativer und unvernünftiger zu sein, Tabus zu brechen, sich nicht klein kriegen zu lassen. Trump macht das auf der großen politischen Bühne vor, Jordan Peterson macht es ihm im gesellschaftlich-medialen Rahmen seriöser nach. Beide sind wütende Männer, die ihre Emotionen medial vermitteln. Peterson ist im Dialog oft genervt, unterschwellig aggressiv oder manchmal sogar herrisch. Er hat im Gespräch vor laufender Kamera auch schon angefangen zu weinen, woran man ersehen kann, dass ihm die Vermittlung seiner Inhalte ein Bedürfnis ist, das sehr persönlich geprägt ist. Argumentativ ist Jordan Peterson daran interessiert, eine konsistente Belegkette zu knüpfen. Das heißt, er vermittelt zum Teil zwar einfache Wahrheiten, macht aber die Komplexität dahinter transparent. Das gelingt zuweilen hervorragend, mitunter aber auch weniger gut, als es oberflächlich betrachtet den Anschein hat. Zu diesem Thema später mehr. Zunächst zu Donald Trump, der den Stil der öffentlichen politischen Auseinandersetzung bestimmt und medial vermittelte Inhalte völlig verändert hat.

Donald Trump als kommunikative Stil-Ikone

Alles, was vorher im in den Medien ausgetragenen Diskurs in der Politik unmöglich erschien – üble Nachrede, Verunglimpfung, Frauenfeinlichkeit und -herabwürdigung, Lügen oder rassistische Aussagen – hat Donald Trump zum kommunikativen Standard erhoben und versucht damit, eine Form der provokativen politischen Rede zu etablieren. Von ungefähr kommt dieser Ansatz aber nicht. Denn Trump, der erste amerikanische Präsident, der nicht mehr Pressekonferenzen als kommunikatives Hauptinstrument nutzt sondern Twitter, scheint eifriger Leser von Hate-Kommentaren in den sozialen Netzwerken zu sein. Im Grunde möchte er nur das salonfähig machen, was seit Jahren in den Webkommentarspalten tobt: oftmals konsequenzlose Diffamierungen, die unter dem Label der freien Rede segeln. Trump kann von sich behaupten, den schriftlichen Hass aus dem Internet in die reale Welt transformiert zu haben. Aber auch, wenn er nicht verunglimpft, enthalten seine verbalen Einlassungen immer emotionale Bestandteile, die Bürger und Wähler aktivieren sollen. Mal ist er wütend, mal witzig, mal appelativ, nur sachlich, das ist Donald Trump kaum. Damit wird er zu einer spannenden Figur mit hohem Unterhaltungswert wie aus einer Fernsehsendung. Mit seriöser Politik hat das nichts zu tun. Eher mit seinem pointierten Auftreten in der amerikanischen Fernsehshow „The Apprentice“, die er von 2004-2015 moderierte. Auch in dieser Fernseh-Show hatte sich Trump durch pointiert dramatisierte Sätze wie „You’re Fired“ profiliert. Man könnte meinen, dort ging es nie um die Sache, immer nur um den Showeffekt.

Was bisher geschah: Trump und die Folgen

Donald Trump hat als amerikanischer Präsident einen tabubrechenden Kulturwandel eingeleitet. Dabei ist sein politisches Programm klassisch marketingorientiert. Trump hat eine sloganhafte Botschaft „Make America great again“ zum Markenzeichen gemacht, die nicht von ihm  stammt sondern schon unter Ronald Reagan und davor Verwendung fand. Die Positionierung ist eindeutig: Trump will Präsident für weiße Amerikaner sein, die durch die moderne Welt und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen verunsichert sind, die Zukunftsängste haben, sich kulturell bedroht fühlen und einen starken Führer wünschen. Bedroht fühlen sie sich etwa durch den Islam, durch die Digitalisierung, die Globalisierung, die Konkurrenz zu China oder durch die angebliche Überfremdung durch südamerikanische, vor allem mexikanische, Einwanderer. Die Mechanik ist simpel:

  • Konstruiere ein Problem,
  • definiere eine Gruppe, der die Verantwortung für das Problem zugewiesen wird und
  • stigmatisiere die Sündenböcke medial verbreitet und lang anhaltend, bis die Behauptungen als Realitäten wahrgenommen werden.

Der Stigmatisierungsprozess kommt besonders nachhaltig in Gang, wenn Vorurteilen und Ressentiments die große Bühne geöffnet wird. Trump könnte jedoch ohne Steigbügelhalter und Multiplikatoren seine Politik nicht so effektiv verbreiten. Jordan Peterson ist so ein Multiplikator, der politisch inhaltlich beim „Free-Speech“-Gedanken ansetzt. Peterson hat sich gegen Transgender-Sprachregelungen eingesetzt und diese zu einem nationalen Problem hochstilisiert. Die Bedeutung, die er dem Problem zuweist, entspricht aber nicht dessen gesellschaftlicher Relevanz.

Die Methodik der Trump-Demagogie

Es gibt noch vieles mehr als das vorher Genannte, das dem unzufriedenen weißen amerikanischen Wähler Sorgen bereitet. Trump versieht seine Politik methodisch mit einer einfachen Struktur:

  1. Verbalisierung: Donald Trump hat Ängste aufgegriffen und ihnen ohne Rücksichtnahme und tabulos eine Stimme gegeben. Für jedes Problem hat er gleich mehrere Schmähungen parat. So sind mal Farbige Vergewaltiger, mal die Mexikaner, die aber zusätzlich auch Mörder und Drogenhändler sind. Demokraten und Journalisten sind Lügner, jeder, der nicht mit ihm übereinstimmt, ist ein Feind. Seine damalige Konkurrentin um die Präsidentschaft, Hillary Clinton, hat er als kriminell bezeichnet und die Ansicht vertreten, die gehöre ins Gefängnis. Trump vereinfacht und pointiert die Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit. Sein Ansatz ist aber sowieso nie die Abbildung der Realität sondern die Abbildung und das Aufgreifen von Ressentiments. Die basieren nur ausnahmsweise auf Realem, wie andere Populisten will Trump vielmehr ein Sprachrohr sein, um Ängste zu artikulieren und zu verstärken. Trump wird so zum menschlichen Megaphon. Dem so verunsicherten Individuum bietet er einfache Rezepte, um behauptete Probleme zu lösen.
  2. Zieldefinition: Zur Bewältigung von Ängsten hat Trump Ziele formuliert, die es zu erreichen gilt und die ebenso einfach und griffig sind wie seine behaupteten „Wahrheiten“: Hier eine Mauer bauen, dort niemanden mehr einreisen lassen und vor allem viele wieder aus dem Land ausweisen, die illegal eingewandert sind. Die Formulierung seiner Ziele basiert tendenziell auf dem Konzept der Abschottung und ethnischen Reinigung des Landes.
  3. Umsetzung: Letztlich will Trump seine Ziele schnell erreichen. Im Gegensatz zu manch anderem Politiker, der viel verspricht und wenig hält, wollte Trump zum Präsidenten der Umsetzung werden: Problem erkennen, Ziel definieren, Zielerreichung schnell umsetzen – das ist der simple von ihm prognostizierte Ablauf. Dass dies in einer Demokratie nicht so einfach umsetzbar war, musste Trump inzwischen zur Kenntnis nehmen. Deshalb ist sein Ziel weitestgehender Zielgruppenbefriedigung bisher nicht so aufgegangen, wie er sich das gedacht hat.

#Comicsgate, #Gamergate und Jordan Peterson

Zum Programm der geistig-moralischen Wende hin zum alten Amerika des weißen Mannes gibt es seit längerem Protagonisten, die in verschiedenen Bereichen von Gesellschaft, Kultur und Religion auch jenseits von Trump Einfluss nahmen und nehmen. Seine Wurzeln hat dies in der rechten Tea-Party-Bewegung. Andere Beispiele sind die „#Comicsgate“-Bewegung, die versucht, fortschrittliche Comic-Schaffende (etwa wenn es in ihren Comics um farbige oder schwule/lesbische Comicheldinnen geht) zu verunglimpfen, und bei „#Gamergate“ sollen Frauen, die gegen stereotype Rollenklischees in der Spielewelt eintreten, mundtot gemacht werden. Jordan Peterson gibt theoretische Schützenhilfe. Er betont das Hierarchische, das Maskuline, hält Ungleichheit für notwendig und sieht in Gender-Aktivitäten, Emanzipationsbestrebungen und allen „Social-Warrior“-Aktivitäten Bedenkliches und Negatives.

Radikal „linke“ Hochschulen?

Es mag wie ein Witz klingen aber in Zeiten, in denen nicht nur Amerika durchdrungen ist von einem Rechtsruck auf vielen Ebenen und rechtsnationalistische Kräfte sogar einen Präsidenten installieren konnten, sieht Jordan Peterson die Gefahr ausschließlich von den „Radical Leftists“ ausgehen, den von ihm als „radikal Linken“ Bezeichneten. Aber dies noch nicht einmal gesamtgesellschaftlich, er fokussiert sich fast ausschließlich auf die von ihm ausgemachten „radikal Linken“ an Hochschulen in Amerika und Kanada. Von diesen Hochschulen mit ihren vermeintlich dogmatisch „extrem Linken“ gehe das Negative in der Gesellschaft aus. Peterson sieht nicht etwa von Donald Trump, der Alt-Right-Bewegung oder dem KuKluxKlan Gefahren für die Demokratie ausgehen, er behauptet, die komme von den „radikal linken“ Professoren.

Neomarxisten und Millionen Tote?

Peterson wirft die von ihm unterstellte Wirkung der „Linken“ bis hin zum Postmodernismus in einen Topf etwa mit den Millionen Toten der ehemaligen Sowjetunion unter Josef Stalin (ab 1927) oder anderer kommunistischer Regimes. Hier führt er aktuell passend zur Trumppolitik auch das China Mao Tse-tungs an, in dem zwischen 1958-1961 bei politisch herbeigeführten Hungersnöten zwischen 30-40 Millionen Menschen starben. Rechts-Regimes sind für Peterson nicht der Diskussion wert, weil er davon ausgeht, eine Gefahr von rechts bestehe nicht, weil die Gesellschaft etwa aus den Nazi-Gräueln gelernt habe. Warum sollte sie daraus ihre Lehren gezogen haben, nicht aber aus den Millionen Toten etwa unter Stalin? Eine Antwort darauf bleibt Peterson schuldig. Auch erwähnt er nicht, dass seine Beispiele veraltet sind und keiner der von ihm als „radikal links“ bezeichneten Hochschulprofessoren Millionen Menschen umgebracht hat oder in Verbindung zu den damaligen Ereignissen steht. Auch führt er nicht Beweis, inwiefern diese von ihm ausgemachten Professoren, dieses Unrecht legitimieren. Er behauptet lediglich, „radikal linksorientierte“ Professoren an den amerikanischen und kanadischen Universitäten würden die damaligen kommunistischen Ideen fortführen, indem sie zum Beispiel für soziale Gerechtigkeit kämpfen würden, obwohl die Evolution Unterschiedlichkeits-Hierarchien hervorgebracht habe, in denen sich der Mensch automatisch organisiere.

Die „radikal Linke“ und der „klinische Psychologe“

Peterson betont in jedem seiner Vorträge, er sei „klinischer Psychologe“, andererseits sieht er sich als Wissenschaftler – als knochentrockener Akademiker will er aber nicht dastehen. Peterson positioniert sich selbst als intellektuelles Schweizermesser: vielschichtig als intellektueller Hochschulprofessor und zugleich als Mann der Praxis, der Menschen hilft. Wer Peterson in seinen Vorträgen ob live oder online zuhört, geht vermutlich davon aus, dass das, was ein Hochschulprofessor vorträgt, wissenschaftlich fundiert ist. Tatsächlich untermauert er manche seiner Thesen nicht wissenschaftlich, lässt es aber so wirken. Im obigen Video zum Klimawandel kann man diese Strategie beobachten.

Emanzipation adé?

So widerspricht Peterson der These, Frauen würden in der Berufswelt benachteiligt. Er trägt dazu differenzierende Argumente vor, die sich auf den Umstand beziehen, dass Frauen nicht nur geringer bezahlt werden, weil sie auf diese Weise diskriminiert werden sollen sondern aus einer Fülle anderer Gründe. Dieser Teil seiner Aussagen ist diskussionswürdig. Aber warum Initiativen, die Gleichberechtigung zum Ziel haben, letztlich kontraproduktiv seien, belegt er nicht wissenschaftlich. Er sagt nur seine Meinung, die nicht erhellender ist als viele andere zum Teil ebenfalls nicht fundierte Meinungsäußerungen anderer politischer Influencer. Vieles, was Peterson im Brustton der Wissenschaftlichkeit sagt, ist das, was ihm sein Weltbild nahelegt, nicht das, was die Wissenschaft sagt. So, wie er nicht etwa rechte Kräfte bedenklich findet, die in Amerika immer selbstbewusster auftreten, sondern ausschließlich „radikal linke“ Kräfte, sieht er nicht etwa Frauen unterdrückt, sondern findet, dass Männer gestärkt werden müssen, da sie in der modernen Gesellschaft tendenziell orientierungslos seien.

Jordan Petersons Argumentationsebenen

Peterson vermischt verschiedene Ebenen: Mal spricht er konkret wissenschaftlich, mal macht er politische Aussagen, behauptet aber, er würde nicht politisch sprechen, mal spricht er symbolisch (etwa wenn es um das männliche und das weibliche Prinzip geht) und mal spricht er therapeutisch. Man mag den Eindruck gewinnen, dass Jordan B. Peterson diese Ebenen sich gegenseitig bewusst durchdringen lässt, um einen großen argumentativen Spielraum zu haben. Er hat sich einen Baukasten aus ebenenübergreifenden Argumentationsketten zusammengestellt, mit dem er auf jede Frage eingehen kann, ohne Gefahr zu laufen, sein Gesicht zu verlieren. Grundsätzlich ist seine Strategie zu behaupten, alles, was er referieren würde, wäre wissenschaftlich fundiert. Die Belegführung bleibt er in manchen Fällen schuldig, in anderen Fällen, für die er berühmt ist, nennt er sie allerdings dezidiert – was einen guten Ansatzpunkt für eine Diskussion brächte, wären seine Diskussionspartner ihm gewachsen. Die meisten sind es nicht, und das, obwohl offensichtlich ist, dass Peterson zwar ungemein stark in der detaillierten Darstellung von Zusammenhängen ist aber schwach bezüglich stichhaltiger Interpretationen von Ergebnissen.

Zielgruppe: Wütende junge Männer

Seine überwiegend männliche Zuschauerschaft und Zuhörerschaft versteht das, was er symbolisch meint, oft sehr konkret. Etwa, wenn er behauptet, das Weibliche sei chaotisch und das Männliche ordnend. Aussagen wie diese passen in das alt hergebrachte Männlichkeitsselbstbild vom Mann als Ordnungskraft. Der Rahmen seiner Vorträge, Videos und Podcasts lässt kaum Raum, solche Thesen differenziert darzustellen. Was zurückbleibt und bei seiner Zuhörerschaft ankommt, sind zum Teil solche vereinfachten Weltbilder, wie Peterson selbst sie eigentlich nicht gut finden dürfte, wenn er seriös wissenschaftlich argumentieren würde: Nur die „radikal Linken“ sind seiner Ansicht nach an einem aufkommenden Dogmatismus und Totalitarismus schuld, der Feminismus und das Streben von Gruppen wie Transgender-Personen nach Aufmerksamkeit und Gleichberechtigung beeinträchtige die Gesellschaft.

Ein Männlichkeits-Weltbild

Jordan Petersons Inhalte sind durchdrungen von einer maskulinen Wahrnehmung, die Autorität und Hierarchie in den Vordergrund stellt. Da Peterson speziell das Thema „Hierarchie“ eingehend würdigt und bespricht, macht er daraus eine politische Botschaft, die Gleichberechtigung als fragwürdig erscheinen lässt. Das hat er so zwar nicht gesagt, aber seine Botschaften kombiniert sind hoch kompatibel mit der aktuellen Politik von Donald Trump, der nicht die Demokratie und ihre Organe in den Vordergrund stellt sondern sich als Führer des weißen Amerika. Darin jedoch sieht Peterson keine Gefahr.

Wissenschaftsmix

Peterson mischt in seinen Thesen Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften. Wichtig ist ihm etwa die Evolution. Die Herausbildung einer Hierarchie sei unverrückbares Ergebnis dieser Evolution und das Streben nach Gleichberechtigung läuft dem seiner Ansicht nach zuwider. Die Differenzierung zwischen hierarchischen Strukturen und kooperativen thematisiert er in seinen Vorträgen nicht. Dies ist allerdings nicht Ergebnis einer wissenschaftlichen Vorgehensweise, sondern es ist seine persönliche Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse. Das, was Peterson als Therapeut braucht, um auf seine Patienten einwirken zu können, versucht er auf seine Zuhörerschaft zu übertragen: klare Richtlinien, Strenge, Konsequenz. Er verkauft seine Ansichten deshalb als gesicherte Wahrheiten, was sie nicht sind.

Seriös oder unseriös?

Donald Trump ist die Verkörperung einer Vision, deren Ziel auch das Ende politischer Korrektheit und das Ende moralischer Erwägungen ist. Gleichberechtigung, Menschenrechte und Menschenwürde stehen zur Disposition. Alle gesellschaftlichen Differenzierungen sollen stark vereinfacht werden. Jordan Peterson und seine Social-Media-Reichweite haben dabei, ob kalkuliert oder fahrlässig, die Rolle des Zauberlehrlings übernommen. Er spricht bestechend gut und bezogen auf seine Themen präzise differenziert und kombiniert gesicherte Erkenntnisse mit pseudowissenschaftlichen Ansätzen zu einer Handlungsaufforderung, die die Revolution von rechts nahe legt, auch weil er zum aktiven Widerstand gegen unliebsame Verhältnisse aufruft. Ließe man jene Inhalte, die aus seiner persönlichen Betroffenheit und seiner Wut auf alles herrühren, was links ist, gedanklich weg, blieben einige originelle Gedanken zurück. Deren Wert liegt in der übergreifenden Kopplung von Erkenntnissen verschiedenster Disziplinen. Tatsächlich sind sie aber oftmals verschüttet unter einer Schicht der Agitation. Die Frage, die ein paar Mal gestellt wurde, ob Jordan Peterson als geistiger Brandstifter gefährlich sei, ist zu diskutieren. Gemessen an seinen eigenen Ansprüchen mag es aber in der Reihenfolge zunächst wichtiger sein, ob er ein seriöser Denker ist oder sein wissenschaftlich geprägtes Denken nur instrumentalisiert.

Fazit

Kann Jordan Peterson etwas dafür, wie seine Botschaften ankommen und weiter vermittelt werden? Zumindest trägt er eine Mitverantwortung dafür, der er nicht gerecht wird, weil sein Weltbild eine offensichtliche Schlagseite hat. Ein seriöser Wissenschaftler ist dazu verpflichtet, seine Erkenntnisse nicht unterkomplex zu vermitteln. Dies kann man ihm zwar nicht durchgehend vorwerfen aber Peterson scheint in seiner Einseitigkeit berauscht vom Erfolg und Zuspruch aus konservativen und rechten Kreisen. Zuweilen erscheint er in seinem demagogischen Streben, das sich selbst durch die Neuralität der Wissenschaft rechtfertigt, wie eine Mischung aus Michael Kohlhaas und Don Quichotte. Der eine machte aus einer Mücke einen Elefanten, der andere kämpfte gegen Windmühlen. Selbst wenn man Peterson also inhaltlich recht geben würde, bliebe die Frage, ob tatsächlich „radikal linke“ Kräfte das wesentliche Problem in Amerika sind, angesichts eines Präsidenten und einer regierenden republikanischen Partei, die den Klimawandel leugnen, Stigmatisierung und Populismus als probate politische Mittel ansehen und etwa in der Asylhaft menschenverachtend Kinder von ihren Eltern getrennt haben. Ist es gerechtfertigt, Petersons Weltbild in Bezug zu dem der amtierenden US-Regierung zu setzen? Peterson, der sich selbst nicht als politischen Redner einordnet, hat eine enorme mediale Wirkung und nimmt die Instrumentalisierung seiner Inhalte zumindest billigend in Kauf. Auffällig ist, dass er bei Themen wie dem Klimawandel undifferenziert wird und darauf Acht zu geben scheint, nicht mit Positionen der Republikaner zu kollidieren. Jordan B. Peterson ist klug aber einseitig, was ein Weltbild oder thematische Sichtweisen ergibt, die gerade den aktuell brisanten politischen Themen nicht gerecht werden.