Berlin, Dienstag, der 24. April 2018, 20:00 Uhr: Mit MIYAVI war ein bemerkenswerter japanischer Rockmusiker und zugleich einer der besten internationalen Gitarristen zu Gast. Der Gig war sein einziges Konzert in Deutschland im Rahmen seiner „Day2“-Welttournee – und nicht sehr viele haben in Berlin davon Notiz genommen. Schade eigentlich für euch Leute, ihr habt echt was verpasst!
Dabei war Ishihara Takamasa, alias 雅 bzw. MIYAVI bereits 2007 das erste mal im Rahmen der „Animagic“ in Bonn zu hören gewesen. Seitdem hatte er in Deutschland immer wieder Auftritte in kleineren Locations gehabt, dabei zum Teil vor ausverkauften Häusern. Jetzt war er in Dreierbesetzung mit Schlagzeuger und DJ zu sehen.
Geheimtipp: Japanexport MIYAVI
MIYAVI scheint hierzulande immer noch ein Insidertip zu sein, obwohl er in Japan seit fast 20 Jahren im „Geschäft“ und ein Superstar ist. Zum Teil hatte er sich auf den amerikanischen „Markt“ konzentriert. Hier trat er 2004 zum ersten Mal auf. MIYAVIs musikalische Wurzeln liegen im Indie-Rock, nebenbei arbeitete er als Model und Schauspieler. Streckenweise ließen seine Studioalben Eigenständigkeit und Originalität vermissen und waren zu perfekt-glattgebügelt. Schuld an mangelnder Wahrnehmung im Ausland war wohl auch die übliche japanische Orientierung an amerikanischen Musik-Klischees. Seine famosen Fähigkeiten als Gitarrist zeigten sich vor allem live und vor allem auch wenn er in Jam-Sessions improvisierte.
Slap-Gitarre und minimalistisches Line-Up
Der Stil des inzwischen 36jährigen hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Orientierte er sich anfänglich an amerikanischen Vorbildern, hat er inzwischen seinen eigenen Ausdruck gefunden. Sein Markenzeichen ist der Slap-Stil beim Gitarrespielen, der eher vom Basspielen geläufig ist. Aber auch sein Fingerpicking ist nicht zu verachten. Überhaupt findet man kaum einen Gitarristen, der eigenständiger und virtuoser ist als MIYAVI – nur weiß das hier kaum jemand. Ansonsten kommt der Musiker nicht mehr so aufgebrezelt wie früher daher, ist erwachsener geworden, obwohl seine Fans kaum die 20 überschreiten (mit wenigen Ausnahmen, wie mir). Alles in allem ist er ein Super-Liveact, der im Berliner Konzert mit überschaubarem technischen Aufwand und ohne optischen Schnick-Schnack auskommt. Den hat er auch bei seinem genialen Gitarrenspiel nicht nötig.
Location Kulturbrauerei, Kesselhaus, Berlin
Doch zurück zum Auftritt in Berlin. Allein schon die Location war sehenswert: die Kulturbrauerei in Berlin ist ein außergewöhnlicher Gebäudekomplex mit breitem Angebot. Vom Museum, über die New York University, Restaurants, Filmevents, das Haus für Poesie bis zur Veranstaltungshalle „Kesselhaus“, in dem MIYAVI auftrat, ist einiges Interessantes zu entdecken. Dass nicht viele Leute kommen würden – nur ca. 500 – war mir schon vorher klar. Warum MIYAVI bei uns so wenig Interesse hervorruft, wird mir ein Rätsel bleiben. Kennt man die YouTube-Videos von ihm mit tausenden und zigtausenden Zuhörern, kann man das nicht nachvollziehen. Zumal sich in Sachen Öffentlichkeit in den letzten Jahren einiges getan hat: Angelina Jolie etwa hat ihn für einen ihrer Filme angeheuert und inzwischen ist er auch UNHCR-Botschafter. Jedoch, dass nicht mehr Zuhörer da waren, habe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesehen: Schade für ihn, dass er hier bisher kein größeres Publikum erreicht, gut für mich, ihn in dem kleinen Rahmen sehen zu können.
Leidenschaft auch in Flüchtlingsfragen
MIYAVI jedenfalls stört die geringe Zuhörerzahl überhaupt nicht, er ist auf der Bühne präsent und engagiert wie immer. Nach Berlin kommt er im gemäßigten Punkeroutfit und gibt ab der ersten Sekunde richtig Gas. Das Publikum bittet er um „Power“, und die bekommt er auch. Zur gesanglichen Unterstützung hat er zwei Mädels auf der Bühne, die ihren Job gut machen. Zu hören sind bekannte Stücke wie „Freedom fighter“, „Live to die another day“ oder „The others“. Dabei sind seine Songs live im Vergleich zu der Studioversion immer um Längen besser. Zwischen den Titeln spricht MIYAVI mit seinen Fans in den ersten Reihen, über sich, seine Anime-Auftritte oder sein Engagement für Flüchtlinge im Libanon, in Thailand und Bangladesh. Deutschland macht er in diesem Zusammenhang nebenbei ein Kompliment für dessen Umgang mit den Flüchtlingen: „I respect your country“.
Gruppenerlebnis und Kommunikationsfreude
Für mich ist es das erste Mal, dass ich jemanden erlebe, der bei einem Konzert so auf seine Fans zugeht, mit ihnen redet, mit ihnen scherzt und das nicht über ihre Köpfe hinweg. Andererseits fordert er ihnen immer wieder Mitmach-Aktionen ab: „Everybody get down to the floor and when I count to three everybody jump“. Und das macht tatsächlich „everybody“. Ich habe selten ein Konzert gesehen, das so sehr zum Gruppenerlebnis wurde und dem sich letztlich niemand im Saal entziehen konnte. Entscheidend dafür ist nicht zuletzt seine Authentizität: „Can I be honest?“ und lachend: „I’m always honest“.
Samurai-Gitarre und Freedom Fighter
Nach einer Stunde verläßt MIYAVI die Bühne. Sollte es das schon gewesen sein? Natürlich nicht, er möchte eben gerne gerufen werden. Das versammelte Publikum skandiert „MI-YA-VI“ und „Freedom fighter“. Im frischen T-Shirt wieder auf der Bühne reagiert er witzelnd auf „Freedom fighter“-Rufe mit: „That’s not my name.“ Er spielt noch einmal fast genauso lange. Danach gibt’s ein Meet-and-greet, für die, die’s brauchen. Leidenschaft hat MIYAVI offenbar genug, und das wirkt von der Bühne auf die Zuschauer! Soviel Power ist zu spüren, dass er auch die allerletzten Schnarchnasen ans Tanzen kriegt. Tschö Berlin!
One Response to “Tokyo meets Berlin: „Day2“-Tour mit MIYAVI”
[…] Tokyo meets Berlin: „Day2“-Tour mit MIYAVI – Mit MIYAVI war ein bemerkenswerter japanischer Rockmusiker und zugleich einer der besten internationalen Gitarristen zu Gast. Der Gig war sein einziges Konzert in Deutschland im Rahmen seiner „Day2“-Welttournee – und nicht sehr viele haben in Berlin davon Notiz genommen. Schade eigentlich für euch Leute, ihr habt echt was verpasst! … endoplast […]