Kafcar

Der Mann fand beim Essen kein Maß, vertilgte täglich dazu noch Unmengen an Dickmachern wie Süßigkeiten, Kuchen oder Plätzchen und blieb sein Leben lang trotzdem hager. Doch er beobachtete sich genau und vermutete manchmal mit einem unguten Gefühl im Bauch, dass etwas in ihm war, das in ihm zehrte und auch an ihm zerrte.

So ging der Mann zum Arzt und ließ sich untersuchen und röntgen, doch die Röntgenbilder wurden aus unerfindlichen Gründen nichts. Es war praktisch nicht möglich, von ihm per Röntgen- oder Ultraschall-Verfahren eine Aufnahme zu bekommen. Die Ärzte schoben es darauf, dass das Gerät nicht in Ordnung sein müsse.

Der Mann wurde panisch. Er installierte eine Webcam in seinem Schlafzimmer, um sich nachts zu beobachten. Er hatte ein ungutes Gefühl in sich. Am nächsten Morgen betrachtete er die Aufnahmen und sah, wie er im Bett schlief, sich aber eine zweite Person von unter der Bettdecke erhob, eine Person, die ihm aufs Haar glich, sich anzog, das Zimmer verließ, um nach über drei Stunden zurückzukehren und wieder spurlos unter der Decke zu verschwinden.

Der Mann beobachtete im Nachhinein gefesselt und atemlos immer weiter und muss feststellen, dass sich dieselbe Szene jedesmal um etwa die gleiche Zeit auch die folgenden drei Nächte abspielte. In der vierten Nacht schlief er ohne Bettdecke, um zu sehen, wo oder wie sein Doppelgänger entstünde. Doch die Kamera hatte die entscheidende Stelle nicht aufgezeichnet. Es fehlten Bilder. Er installierte weitere Webcams in allen Räumen und auch nach aussen gerichtete. Er sah, wie der andere jede Nacht aufstand und das Haus verließ, wie er jedesmal wegging.

Es half alles nichts. Er musste den Anderen verfolgen. In der kommenden Nacht stellte er sich den Wecker, ein paar Minuten, nachdem der Andere verschwunden sein würde. Der Mann hatte eine Außenkamera installiert, deren Bilder er schnell, nachdem er aufgestanden war, ansah, um zu sehen, wohin der andere verschwunden war.

Aha: Die Straße runter nach links in Richtung Innenstadt. Der Mann will dem Anderen in den menschenleeren Straßen nicht mit dem Auto folgen, zumal der andere Treppen zwischen den Straßen der Stadt nehmen könnte. Die Stadt war am Berg gebaut, ihre Straßen befanden sich deshalb auf unterschiedlichen Höhenniveaus und waren durch Treppen verbunden. Der Mann läuft hinterher, bis er den Anderen im Sichtfeld hat. Dann verlangsamt er seinen Schritt und folgt ihm vorsichtig.

Sie sind in der Innenstadt angekommen. Der Andere geht in einen Schnellimbiss und bestellt ein Menü, Currywurst, Pommes Frites, Mayonnaise, Ketchup, zum Mitnehmen. Als es ihm hingestellt wird und er zahlen soll, packt er das Essen und rennt hinaus. Die Bedienung läuft ihm mit einem Messer in der Hand hinterher, gibt aber nach einem kurzen Wegstück auf. Der Verfolger, der eine Schürze umgebunden hat, schreit vor Wut. Aber er muss zurück, er kann seinen Laden nicht alleine lassen.

Der Andere steht jetzt in einer Hauseinfahrt und schlingt sich das gestohlene Essen hinein. Er frisst regelrecht. Er sieht aus wie ein Süchtiger. Er geht weiter. Die Nacht ist dunkel. Er geht in einen Dönerladen. Wieder bestellt er und läuft mit dem Essen ohne zu bezahlen aus dem Laden. Er wird noch nicht einmal verfolgt. Der Besitzer des Dönerladens hat Angst. Er ruft telefonisch die Polizei. Der Andere läuft und läuft. Der Mann verfolgt ihn vorsichtig. Er kommt kaum mit. Er sieht, wie sich der Andere im Laufen mit den Händen das Essen hinunterschlingt. Immer wieder fällt etwas von dem Essen herunter und beschmutzt den Anderen. Der Mann versucht, während er läuft und angeekelt ist von der Szenerie, das Gesicht des Anderen zu erkennen. Aber es gelingt ihm nicht. Denn der dreht sich noch nicht einmal zur Seite.

Der Andere hat das Essen verspeist, hat sich von oben bis unten mit Fett und Essensresten eingesaut. Er rennt weiter, in den nächsten Laden. Es ist ein feines Steakrestaurant. Der Andere reisst einem Kellner, der gerade mit einem Tablett in der Hand im Türbereich an ihm vorbei gehen will, die zwei Steaks herunter und schubst den Kellner zurück, dass der umfällt. Der andere läuft mit dem einen Steak zwischen den Zähnen und dem anderen in der Hand hinaus und weiter die Straße runter. Der Kellner läuft hinterher, verfolgt ihn wutentbrannt. Der Andere bemerkt das, weil der Kellner ihm hinterher schreit. Er wendet sich um und stürzt sich auf den Kellner. Er bringt ihn zu Fall, tritt und schlägt ihn fürchterlich und isst dabei immer weiter. Er läuft weiter, hat das zweite Steak vertilgt, er schellt an einer Wohnungstür, niemand öffnet. Er schellt in seiner Raserei an an der nächsten. Nach kurzem Sturmschellen, geht ein Licht an. Die Tür öffnet sich.

Der Mann, der den Anderen verfolgt hat, sieht von der gegenüber liegenden Straßenseite, wie der Andere gegen die geöffnete Tür tritt und dadurch jemand in der Wohnung zu Fall kommt. Er sieht durch das zum Bürgersteig gewandte Küchenfenster wie der Andere in der Wohnung ist, in Schränken und dem Kühlschrank wühlt, Dinge herausreisst und schreiend herumschmeisst und einige Lebensmittel in den Arm nimmt. Mit Bananen, Äpfeln, einem Brot und anderem auf dem Arm kommt er wieder heraus und läuft und läuft. Er frisst die Bananen mit Schale und Aufkleber. Sein Gesicht sieht aus wie eine Maske, so vollgeschmiert ist es. Er hat inzwischen ungeheure Mengen vertilgt und hat immer noch Hunger und immer noch keinen dicken Bauch.

Der Andere läuft in einen dunklen Innenhof. Er ist nicht mehr zu sehen. Er isst, macht eine Pause. Der Mann sieht von gegenüber aber nun nichts mehr. Es ist Nacht und es ist kalt. Der Mann zittert. Er blickt in den Innenhof, sieht nur Schwärze und dazwischen das hellere kleine Schwarz des Himmels. Nichts bewegt sich. Kein Geräusch. Der Mann geht in die Einfahrt. Er bleibt immer wieder stehen, um zu lauschen. Da plötzlich von links eine Bewegung. Der Andere fällt über ihn her, reisst ihn um. Er krächzt schreiend plötzlich: „Du verfolgst mich schon ein Leben lang. Jetzt hab ich dich.“

Der Andere reisst dem Mann die Kleider vom Leib, tritt auf ihn ein, die Rippen des Mannes brechen. Der Andere dreht und reisst ihm die Arme und Beine heraus. Der Mann sieht gellend schreiend mit aufgerissenen Augen, wie der Andere seine Arme und Beine frisst, wie er die Knochen wegwirft und immer wieder an ihm zerrt und reisst bis er ihn ganz vertilgt hat. Nur noch der Kopf des Mannes ist übrig. Der Andere hebt den Kopf auf, nimmt ihn in die Hände, bringt ihn auf Augenhöhe. „Du Irrer träumst zu viel, du verbrauchst zu viele Kalorien im Traum, weil du deine ganze Kraft für deine kranken Bilder aufwendest.“ Dann beisst er zu. Bildriss. Schwärze.