Schuldrian

Die Zeichnung, der schwindsüchtige kleine Bruder der Malerei, birgt unscheinbare Geheimnisse in sich, von denen eines dieses Kurzinterview offenbart.

Sabine Gilbert: Wie ist das, wenn du eine Zeichnung mit Bleistift vorzeichnest und dann zum Beispiel mit Tusche, Füller oder Kugelschreiber nachzeichnest: Folgst du dann tatsächlich genau den vorgezeichneten Bleistiftstrichen, also musst du dich darauf konzentrieren oder geht es von allein, dass deine Hand mit dem Stift automatisch die Bewegungen wiederholt, weil er sie irgendwie schon kennt, als wenn die Bleistiftzeichnung gar nicht da ist?

Ralf Wasselowski: Etwas dazwischen. Genau wird das gar nicht nachgezeichnet. Das Tuschen ist eher eine Interpretation der Bleistiftzeichnung. Aber ganz aus dem Bewusstsein ist sie nicht. Es ist auch ein ganz großer Unterschied, wie weit die Bleistiftzeichnung aus- und überarbeitet wurde. Das ist echt wie Formsuche und Bildhauerei. Wenn du Kraft hast als Zeichner, dann hast du hinterher einen regelrechten Haufen Radiergummi-Abfälle. Du radierst und zeichnest neu, radierst und zeichnest wieder neu, setzt den Strich immer wieder neu, bis er so sitzt, wie er sein soll. In dem Fall ist die Tusche danach kaum Interpretation. Wenn die Bleistiftzeichnung jedoch kaum überarbeitet nicht sehr weit ausgeführt ist, dann ist die Tusche eine erhebliche Interpretation und es kommt etwas unter Umständen ganz anderes heraus, als vorgezeichnet wurde.

Sabine Gilbert: Musst du deine Hand oft zu etwas zwingen, was sie nicht machen will? Also zu einer Form, zu einem Strich, weil dein Empfinden dir sagt, dass es anders sein muss, als das, was deine Hand dir geben will?

Ralf Wasselowski: Das ist ein wichtiges Thema für mich. Das hängt aber von der Tagesform ab. Wenn es gut läuft, macht die Hand alles alleine und findet mein Wohlgefallen. Manchmal ärgere ich mich auch über sie.

Sabine Gilbert: Aber man trägt doch gewisse Formen in sich, empfindest du das auch so?

Ralf Wasselowski: Ja, schon. Zeichnen ist im Grunde ein Dialog zwischen dieser Form, die sich in einem reinen Gefühl in einem manifestiert und der ausführenden Hand, die aber auch ein (motorisches) Eigenleben hat.

Sabine Gilbert: Gibt es eine Form, die du noch nie gezeichnet hast oder wenn du sie gezeichnet hast, mit der du noch nie zufrieden warst?

Ralf Wasselowski: Das zweite gibt es. Das erste weiß ich unter Umständen nicht. Ich bin sogar öfters unzufrieden, weil ich bestimmte Motive einfach nicht hinkriege.

Sabine Gilbert: Kann man sich eine Zwangsform zu eigen machen? Damit meine ich, wird es für deine Hand einfacher, weigert sie sich mit der Zeit weniger dagegen, eine bestimmte Form zu zeichnen, die dein Kopf ihr aufzwingt?

Ralf Wasselowski: Ich denke, das geht über Gewöhnung.

Sabine Gilbert: Man kann sich also zwingen, etwas zu mögen?

Ralf Wasselowski: Ich denke ja. Langfristig.