Nicht mal mehr ein Monat bis zur Bundestagswahl. Wahlplakate, Wahlwerbung, Wahltermine. Eine Parteienlandschaft, die den unterschiedlichen Interessen ihres Landes nicht mehr gerecht zu werden scheint. Politik, die im Fernsehen mit roten Teppichen, Staatskarossen und anderen Wichtigkeiten aufgewertet wird, zeigt vielen, die Opfer des gefräßigen Wirtschaftssystems geworden sind oder zu werden drohen, zunehmend seine hässliche Seite.
In meinem Kopf sind viele Schlagzeigen aus den Medien, viele Bilder, Klischees, Eindrücke, die sich abwechseln und deren Gemeinsamkeit ist, dass sie mich verunsichern und misstrauisch der Politik gegenüber machen. Eine schlechte Voraussetzung für die Demokratie.
Michael Schirner und das Online-Abstimmen
Ich kann mich daran erinnern, dass auf einem Werbekongress Prof. Michael Schirner – in den 1970er- und 1980er-Jahren ein Erneuerer der deutschen Werbestandards, der Werbung als Kunstform propagierte – dazu aufrief, eine Partei zu gründen, die online gewählt werden sollte. Der Gedanke, online abzustimmen und damit die Wahlen nidrigschwelliger anzulegen, war interessant. Da er dazu aufrief, bei der Weiterentwicklung des Gedankens mitzumachen, fuhren wir zu einem Treffen nach Düsseldorf, das für uns im Sande verlief, wie die Idee auch.
Internationalisierung als schwierige politische Aufgabe
Viele Jahre später kommt mir die Idee vom demokratischen Abstimmen per Knopfdruck wieder in den Sinn. Die Politikverdrossenheit in meinem Umfeld kommt mir immer erdrückender vor. Politiker scheinen in der Bevölkerung immer negativer gesehen zu werden. Liegt das an den Politikern oder an den Problemen, die immer größer zu werden scheinen, immer globaler und von einem Land alleine immer unlösbarer?
Europa als Neben-Thema im Wahlkampf
Auch der Europa-Gedanke erscheint inzwischen teils widersinnig: Einerseits ist da die Notwendigkeit, einen großen starken Politik- und Währungsraum zu schaffen, der Amerika und Asien und auch z.T. Russland etwas entgegensetzt, andererseits kommen aus dem Europa-Parlament Lobbyisten-Entscheidungen, die von den Wählern sehr weit weg sind, ob Quecksilber-Energiesparbirnen oder Monsanto-Genmais, der auf Geheiß des Europaparlamentes jetzt importiert werden darf.
Die große Weltbühne als Ort fataler Entscheidungen
Was der deutsche Wähler dazu meint, ob er das in Deutschland will oder nicht, ist irrelevant. Die politischen Entscheidungen der Weltbühne wirken vom Gedanken der Basisdemokratie wie entkoppelt. Hinzu kommt, dass das Europaparlament für die Parteien oft eine Art Verschiebebahnhof für politische Zweitkarrieren geworden ist, mit solider finanzieller Grundversorgung und mitunter wenig zeitlichem Einsatz der Europaabgeordneten, die schon donnerstags gerne mal ins lange Wochenende gehen. Das gilt nicht für alle aber für einige. Nicht zu sprechen von Doktortiteln, die nicht rechtmäßig erworben wurden.
Politik und Medien-Reflexionen
Solche Wahrnehmungen sind immer indirekt von der Arbeit der Medien bestimmt. Die Medien fungieren für den demokratisch ambitionierten Wähler wie ein Vergrößerungsglas – manchmal eines, das Zerrbilder erzeugt, manchmal eines, das wie ein Elektronen-Mikroskop die Zustände detailliert und exakt zeigt. Die politische Klasse gilt vielen als verkommen, als von Rechtsanwälten und Beamten dominiert, als faul, geldgierig und unwahrhaftig. Und das um so mehr, je mehr man in der Hierarchie nach oben schaut. Realität? Oder Wahnbild, weil der direkte Draht zur großen Politik fehlt?
Hält der Politiker sein Versprechen?
Dort, wo der Politiker lokal und im Kleinen agiert und noch „zum Anfassen“ ist, dort, wo man ihn persönlich kennt und beurteilen kann, gelten diese Einschätzungen eher graduell. Es steht weniger auf dem Spiel, die soziale Kontrolle greift und der Wähler weiß genauer, was mit seiner Stimme passiert, sprich: was von dem, was angekündigt wurde, auch umgesetzt wird.
Zentralistische Strukturen werden unkontrollierbar
Doch die Tendenz geht zu Zentralisierung und damit hin zur Machtkonzentration. Europa, Nord-Amerika und Asien schmieden Kooperationen, denken in weltumspannenden Kategorien, die beispielsweise solche Allmachtsphantasien wie die der NSA befördern, wie Edward Snowden zu Tage gefördert hat. Die USA, als großer politischer Machtblock ordnet vom Schreibtisch des Präsidenten aus, der den Friedensnobelpreis erhalten hatte, tausende Kilometer weit entfernt Morde per Fernsteuuerung über Drohnen an. Multinational agierende Konzerne produzieren krebserregende Lebensmittel, andere bauen Atomkraftwerke, die ganze Regionen verstrahlen und erhöhen auch zum Wohle der Aktionäre nach Gutdünken ihre Energie-Preise. Der Wähler könnte sicher mehr mit kleinen Blockkraftwerken oder den Solarzellen auf dem Dach anfangen – da weiß er, was er hat.
Weniger Atomkraft, mehr Pleite-Solarzellenfabriken
All die großen Strukturen sind unendlich weit weg und entziehen sich zunehmend der Kontrolle. Allein, die Politik weiß keine überzeugende Antwort: Lieber Umweltverschmutzung als wenig Arbeitsplätze. Wobei Deutschland in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter geworden ist: Aus der Atomkraft steigt der Staat aus, die Solarzellenindustrie läßt er aber Pleite gehen. Je größer etwas wird, desto unübersichtlicher wird es und desto mehr entfernt es sich von den Interessen des einzelnen Wählers. Welcher Politiker wendet „Think global, act local“ richtig an? Wer sieht einen Wert darin, als politisches Talent in seiner Stadt oder Gemeinde zu bleiben, anstatt gleich Bundeskanzler werden zu wollen?
Wahlplakate als Symbol der Politikverdrossenheit
Wahlplakate haben immer zwei Seiten: Ein glänzende, bunte Vorderseite und eine stumpf-farblose Rückseite. Zwischen Glanz und Alltag will vermittelt werden. Vision verlangt nach Bodenständigkeit. Programmatische Highlights und langatmige Entscheidungsprozesse wechseln sich ab. Die Qual der Wahl(en).