Neal Adams, einer der wichtigsten Zeichner von Superhelden-Comics in den USA, ist zurück. „Zurück“ bedeutet: Er kreiert, tuscht und schreibt eine neue Heftserie namens „Batman Odyssey“. Adams hat Batman in den 70er Jahren neu definiert, hat ihn ernsthafter, geheimnisvoller und wütender gemacht – und damit einmal mehr den Realismus in die Comics hinein getragen.
Er kann damit durchaus als Ahnherr von Comics wie Frank Millers „Dark Knight“ gelten. Adams‘ Batman bildete die Ambivalenz zwischen dem Rechts-System auf der einen Seite und Selbstjustiz als Antwort auf Kriminalität auf der anderen ab. Adams ließ seinen Helden auf einer sehr dünnen Trennlinie zwischen beiden Welten wandeln, man sah seinem Batman die Belastung und Anstrengung, diesen Zwiespalt zu leben, stets an. Ein nicht zu unterschätzender Verdienst des Zeichners: Er hat moralischer Wankelmütigkeit ein Gesicht gegeben. Sein Batman war keine Karikatur mehr, vielmehr war es, als wäre er zeichnerisch sehr real zum Leben erweckt worden. Für manchen eine Art Kulturschock, für andere ein erwachsen werden eines der infantilen Superhelden.
Ein früher Höhepunkt: X-Men, Avengers und Green Lantern
Neal Adams, Jahrgang 1941, hat zwischen 1969 und 1972 in einer manisch produktiven Phase die Welt der Superhelden-Comics visuell völlig umgekrempelt. Dabei haben die Helden zahlreicher Serien ein neues Antlitz und ein neues Image erhalten, Adams selbst wurde zum absoluten Superstar seiner Generation und er hatte dadurch die Möglichkeiten, in seinen „Continuity-Studios“ eine Garde junger Zeichner heranzubilden, Comics nach zeitgemäßen Maßstäben zu zeichnen. Das war die Wachablösung für den ersten stilbildenden Comiczeichner-Superstar Jack Kirby. So unterschiedliche Zeichner wie John Byrne, Frank Miller oder Bill Sienkiewicz wandelten auf Adams‘ Pfaden. All das, was der „Image Comics“-Verlag als New Wave in der Comic-Branche später schaffen sollte, war von ihm beeinflußt. Ebenso vieles, was in den letzten Jahren bei den Major-Verlagen „Marvel“ und „DC“ an „neuer“ Strichführung zu verzeichnen war. Und bei Batman hatte er sowieso den Alltime-Standard gesetzt, den es zu erreichen galt. Bis zu seinem Erscheinen auf der Bildfläche der Superhelden-Comics war die zeichnerische Arbeit an den Superhelden-Comic-Heften weitestgehend durch eine relativ simple und grobe Strichführung geprägt. Dominierende Vorbild-Zeichner wie Jack Kirby waren anatomisch nicht einem harten Realismus verpflichtet. Die Kunst von John Buscema, eines anderen über-produktiven jener Zeiten lag in der Reduktion und Vereinfachung der Strichführung, nicht in der realistischen Abbildung von Wirklichkeit. Adams bediente sich einer Strichführung, die filigraner war.
Neal Adams‘ Können: Anatomie, Perspektiven und Verzerrungen
Seine Helden waren drahtig, von muskulöser Spannkraft erfüllt aber nicht überbordend muskulbepackt – womit er einen neuen Typus definierte: Sein Batman wirkte nicht mehr wie ein Bodybuilder, eher wie ein Leichtathlet. Adams orientierte sich bei der Darstellung der Physis an Burne Hogarth’s Tarzan. Der Gesichtsausdruck seiner Helden changierte von gereizt zu agressiv, sie waren mitgenommen vom Unrecht in der Welt, waren nicht cool, sondern sensibel genug, wahrzunehmen, was um sie herum geschah – was sie in ihren oft wütenden Handlungen nachvollziehbar erscheinen ließ. Adams hatte ein profundes Wissen menschlicher Anatomie, er stellte kompetent und detailliert dort Muskeln bzw. Muskulatur-Gruppen dar, wo andere aus Zeitgründen abstrahierten. Zugleich simulierte er Extrem-Perspektiven oder Weitwinkelverzerrungen, dramatisierte Blickwinkel und stellte dies in einer schlafwandlerisch sicheren Strichführung dar. Alles grafische Tricks derer sich zwei Jahrzehnte später auch ein Frank Miller bedienen sollte. Es hat vor Adams vermutlich noch nie einen Zeichner gegeben, der die menschliche Anatomie in all ihren Details so beherrschte – inklusive Großmeister Burne Hogarth, der bei diesem Thema normalerweise das Maß aller Dinge ist und einige Anatomie-Bücher geschrieben und illustriert hat, die Standardwerke geworden sind. Nur: Hogarth war ein Perfektionist, der für die Tageszeitungs-Sonntags-Veröffentlichung eine Seite pro Woche abliefern mußte. Adams hatte den zigfachen Output. Der höchste Schwierigkeitsgrad der anatomischen Darstellung des menschlichen Körpers – die perspektivische Verkürzung – ist jedenfalls eine Spezial-Disziplin sowohl von Altmeister Hogarth als auch von Neal Adams. Während Hogarth die Anatomie seines Helden bis ins Übermenschliche übertrieb, holte Adams gerade in seinen Anfangsjahren den Superhelden als Übermenschen wieder ins relativ normale Maß zurück, brachte ihn zurück auf den Boden der Tatsachen.
Die Tuscheumsetzungen von Neal Adams‘ Bleistift-Vorzeichnungen
Das einzige Manko von Adams Möglichkeiten lag in seinem zu großen Output. Das bedeutet, dass die meisten seiner Bleistiftzeichnungen arbeitsteilig von anderen Tuschern umgesetzt wurden, was in der Regel nicht zum besten der Zeichnungen geriet. Sowohl seine berühmten Batman-Comics als auch die komplette Deadman-Serie litten unter einer unzureichenden Tuscheumsetzung. Sie werden zumindest in ihrer Ausführung zu unrecht als Meisterwerke gefeiert. Einzig Tom Palmer, mit seinem dünnen, exakten aber dennoch lebendigen Strich konnte Adams Filligran-Schraffuren und Präzisions-Strichtechnik gerecht werden. So sind bereits die drei Hefte der „Avengers“ von 1971/72 (die Nummern 93-96) das beste, was er an Superhelden-Comics gezeichnet hat. Speziell die Nummer 93 ist der frühe Höhepunkt von Adams‘ Zeichenkunst. Tom Palmer hatte vorher schon Adams‘ „X-Men“ getuscht. Die Ausgaben 56-63 und 65, die zwischen 1969-70 erschienen waren, arbeiteten zudem mit ungewöhnlichen Seitenlayouts, die nur durch seinen „Green-Lantern“-Zyklus getoppt wurden, in dem er noch ideenreichere und teils experimentelle Seitenaufteilungen einsetzte.
Die Leidenschaft der Buchhalter
Das Problem bei sehr detaillierten Zeichnungen ist, dass sie einer besonderen Art von Leidenschaft in der Tusch-Ausführung bedürfen. Tom Palmer hat diese Leidenschaft besessen, in frühen Jahren manchmal Neal Adams selbst, zum Beispiel auch bei seinem Schwarzweiß-Zeitungs-Comicstrip „Ben Casey“. Es ist eine Leidenschaft, die eigentlich die Akribie eines Buchhalters erfordert, andererseits die Dynamik eines Kreativen. Ein Widerspruch, den kaum jemand auflösen kann. Es braucht sehr viel Detail-Besessenheit, um derart anspruchsvolle Zeichnungen kongenial umzusetzen. Den Fans war es oft genug, den unverwechselbaren Strich, die besonderen Layouts und ungewöhnlichen Perspektiven zu konsumieren. Dass mehr drin gewesen wäre, fällt bei einem sowieso begnadeten Zeichner kaum auf. Wer jedoch Publikationen wie „Art of Neal Adams 1“ (1975) und „Art of Neal Adams 2“ (1977), eine Mischung aus Werkschau und Skizzenheft, durchblättert und Einzelzeichnungen sieht, die Adams damals noch mit viel Muße selbst ausgeführt hat, der weiß, wovon ich rede.
Die Mischung machts: Strichführung und Dynamik, Physis und Realismus
Die Kopplung von feiner, konstruktiver Strichführung mit einer expressionistisch-agressiven Dynamik der Gesamt-Darstellung, zusammen mit der neuartigen Physiognomie seiner Superhelden und einer realistischen Darstellung war eine aufsehenerregende Mischung. Es gibt in der Historie der amerikanischen Superhelden-Comics keinen anderen Zeichner, der so viele andere Zeichner beeinflußt hat – und das bis heute. Das Vermögen, höchst kontrolliert zu zeichnen, dabei aber in jedem Bild dramatisch zu sein, entspricht der Erwartungshaltung der Comic-Konsumenten. In der Serie „Green Lantern“ (Ausgaben 76-87 und 89 von 1970-72) konnte Adams diese neuartige Herangehensweise dann auch noch inhaltlich mit sozialkritischen Themen koppeln, was zu seinem realistischen Zeichenstil passte.
Mangelnde Inspiration führt zum Eigen-Plagiat
Adams war von Ende der 60er Jahre bis weit hinein in die 70er Jahre für eine große Zahl unterschiedlichster Serien bei Marvel, DC aber auch für den Warren-Verlag und seine Horror-Magazine tätig. Darüber hinaus zeichnete er eine fast unüberschaubare Zahl von Titelblättern, die die Comichefte besser verkauften als die jedes anderen Zeichners. Die dramatische Kraft seiner Zeichnungen ermöglichte das. Adams arbeitete neben seinem Engagement in den Comics aber auch in der Werbung, als Comic- und Storyboard-Zeichner, als Illustrator und Grafik-Designer. Seine „Continuity-Studios“ gestalten heute Computeranimationen und im Grunde fast alles, was im Kommunikations-Design möglich ist. Von Mitte der 80er Jahre bis 1990 schuf er dann verschiedene Serien für den eigenen Verlag „Continuity-Comics“. Hier zeichnete er einige Hefte verschiedener Serien und ließ sie von anderen Zeichnern weiterzeichnen. Bereits hier zeigte sich eine Vergröberung und Standartisierung in der Strichführung. Die alte kompositorische und darstellerische Leidenschaft wich einer Art uninspirierten Abarbeitens. Das, was an Inspiration fehlte, wurde durch Eigen-Plagiate und Manierismen ersetzt.
Neuer Werk-Zyklus: Andere Formgebung und Strichführung für den alten Batman
Inzwischen ist Neal Adams 69 Jahre alt und hat in diesem Jahr eine neue 12teilige Batman-Heftserie gestartet, die alte Tugenden aktiviert. Adams selbst liefert die Vor- und Tuschzeichnungen und hat die Story verfasst, er hält also die kreativen Fäden in der Hand. Die sehr passende Farbgebung steuert sein Studio bei. Die Layouts sind recht spektakulär, insbesondere fällt seine alte Fähigkeit auf, Doppelseiten als durchzukomponierende Einheit aufzufassen. Die Strichführung ist eher routiniert als leidenschaftlich, die Zeichnungen selbst sind aber immer noch ungewöhnlich detailliert und dramatisch – und ziehen den Leser direkt in die Geschichte hinein. Vielleicht wäre – wie in vergangenen Zeiten – etwas Weniger mehr gewesen. Früher, vor den Arbeiten für „Continuity-Comics“, beherrschte Adams auch mal die Kunst des Weglassens. Bereits bei „Ben Casey“ von 1962 beherrschte er es, Weißflächen mit Schwarzflächen zu kontrastieren und mit wenigen Strichen viel auszudrücken. Etwas mehr von dieser Eigenschaft wäre hier gut gewesen. Aber dennoch, eine Comic-Heft-Reihe dieser Qualität hätte man von Adams nicht mehr erwartet. Frank Miller apostrophierte in seinem Blog ganz simpel „He’s back“. Recht hat er. Neal Adams, dessen unverwechselbare Art der Formgebung und Strichführung tatsächlich mehrere Generationen von Zeichnern geprägt haben, zeigt einmal mehr, dass eine anspruchsvolle zeichnerische Umsetzung eine triviale Welt veredeln kann.
Im Text war die Rede von Burne Hogarth, der mit seinen Tarzan-Sunday-Pages den perfektesten Abenteuer-Comic geschaffen hatte. Geprägt ist sein Stil von den Darstellungsweisen und der Ästhetik der Renaissance, wie man zum Beispiel in seinen Lehrbüchern zum Thema Anatomie sehen kann.
6 Responses to “Comic-Zeichenkunst: Neal Adams‘ Comeback mit der Heftserie „Batman Odyssey“”
[…] Beispiel Jack Kirby von seinem Tusch-Pedant Joe Sinnott. Andere Zeichner, wie der ebenso berühmte Neal Adams, dessen Werk fast ausschließlich von anderen getuscht und oft verhunzt wurde, haben darunter […]
[…] Joe Sinnott. Kirby hat immer noch – lange nach seinem Tod 1994 – eine treue Fangemeinde und wird kultisch verehrt. Das geniale Team allerdings, das er und Sinnott ab 1962 gebildet hatten, war genau besehen keines […]
[…] jene, die ihre Zeichnungen dynamisch verdichten und irrwitzig übertreiben –wie Jack Kirby und Neal Adams – von denen, die sachlicher zeichnen, wie z.B. Al Williamson, Wally Wood oder Alex Toth. Was mehr […]
[…] Neal Adams hat realistisch gereizte, aggressive und wütende Gesichter kultiviert und so für maximale Aufmerksamkeit gesorgt. Trotz seines zeichnerischen Realismus‘ hat er extreme Körperperspektiven so weit wie möglich übertrieben. […]
[…] Giant-Size Nr. 3 (2005), Einzelprojekt New Avengers, Ausgabe 2, Nr.16.1 (2011), Einzelprojekt Batman Odyssey: Nr. 1-13 (2010-12), 2 Miniserien First X-Men: Nr. 1-5 (2012-13), Miniserie Batman/Harley Quinn: […]
[…] Kieth würde mir da vielleicht noch einfallen. Ich würde sogar bis in die 70er zurückgehen zur Neal Adams-Version der „Green Lantern”. Man vergisst zu oft, dass Comic-Zeichnen nicht nur die Kreation […]