1969 war 2001 für jemanden, der sich selbstständig macht, die unvorstellbar weit entfernte Zukunft. Den Kubrick-Film im Kopf war die Jahreszahl reinste Science-Fiction – vor allem wenn man als kleiner, quasi noch nicht existenter Verlag und Versandhändler seine Päckchen „in der Kantine von Bärmeier & Nikel“ packt.
„Bärmeier & Nikel“, das war der Verlag, der die Satirezeitschrift „Pardon“ herausgebracht hatte – und im Grunde so etwas wie der Vorläufer von „Titanic“, auch mit personeller Kontinuität. Lutz Reinecke (der sich später nach seiner Heirat in Lutz Kroth umbenannte) war Assistent des Pardon-Chefs Nikel und gründete zunächst einen Versandhandel, aus dem später ein richtiger Verlag wurde: der 2001-Verlag.
Der sorgte für Furore durch günstigste Preise vor allem für LPs, heute für CDs, DVDs und Hörbücher. Aber auch für „normale“ Bücher. Bis heute kauft 2001 von renommierten Verlagen Restposten auf und verhökert die günstig. Ebensovertreiben Haffmanns und Rogner & Bernhard ihre Bücher nicht mehr über den Buchhandel sondern exklusiv über 2001. Der Verlag hat darüber hinaus ein eigenes Programm. Er druckt Klassiker in oppulenten dicken Paperbacks nach aber hat sich in den Jahrzehnten auch hervorgetan durch verlegerische Großtaten vor allem im Bereich der hohen Literatur.
So hat er William Gaddis mit seinem Roman „Die Fälschung der Welt“ zum seltsamen und späten Durchbruch verholfen. William Gaddis war bis dahin eine eher traurige Figur. Als junger Mann hatte er bereits 1955 den komplexen Roman veröffentlicht, der aber von der Kritik verrissen worden war. Offenbar spielte dabei auch eine Rolle, dass er eine persönliche Fehde mit Anatole Broyard, dem später einflußreichen Kritiker der New York Times, ausfocht. In seinem Buch „Die Fälschung der Welt“ spielte er offensichtlich auf Broyard als Person an, der Zeit seines Lebens seinen afroamerikanischen familiären Hintergrund verheimlicht hatte. Jedenfalls war die Publikation ders 1.000-Seiten-Werkes ein verlegerischer Paukenschlag, der Gaddis als Autor über Umwege in der Folge sogar international rehabilitierte.
(Vergleichbar waren das damalige Medienecho und die positiven Reaktionen des Feuilletons eigentlich nur mit Ereignissen wie der Publikation von Jonathan Littels „Die Wohlgesinnten“, das im letzten Jahr im Berlin-Verlag erschienen war und gerade eben wieder als „verbilligte Studienausgabe“ in den Buchhandel gelangt ist. Immerhin hatte sich hierbei die FAZ stark gemacht mit einer ausführlichen Berichterstattung und einem eigenen Themenblog.)
Jedenfalls war Gaddis‘ „Die Fälschung der Welt“ nicht nur ein literarischer Erfolg und das literarische Ereignis des Jahres 1998 sondern 2001 machte aus einem Werk der Hochliteratur, wie es kaum ein zweites gibt, natürlich auch einen Verkaufserfolg. Schon „JR“, zwei Jahre vorher publiziert, war erfolgreich gewesen. Wieder ein über 1.000 Seiten umfangreiches Werk. Übrigens ist „JR“ vermutlich das Buch, das uns die augenblickliche ökonomische Krise aus einer zutiefst menschlichen Perspektive am besten nahe bringen kann.
Der Verlag hatte mit kleverem Marketing und einem Mix aus Hoch- und Unterhaltungskultur ein geschicktes Händchen dafür, schier Unverkäufliches einer Alt-68er-Hippy-und-Lehrer-Käuferschicht schmackhaft zu machen.
Als weitere mutige verlegerische Tat gilt die Publikation von Moby Dick in der Übersetzung von Friedhelm Rathjen. Der hatte jahrelang im Auftrag des Hanser-Verlages an einer amibitionierten, ungeschliffenen Neuübersetzung des Schlüsselwerks der Weltliteratur gearbeitet. Dem Verlag war das Ergebnis aber offensichtlich zu extrem. Er lehnte ab und beauftragte Matthias Jendis mit einer Überarbeitung der rauen Übersetzung. Der Vorwurf stand im Raum, es gehe dem Verlag nicht mehr um eine möglichst werkgetreue Übersetzung. Norbert Wehr nahm sich des Falles in seinem Schreibheft an und veröffentlichte dort Auszüge der Übersetzung von Rathjen und Gegenüberstellungen der Übersetzungsvarianten. Bis der 2001-Verlag das Werk in der Rathjen-Übersetung, in einer auf 3.400 Exemplare angelegten Auflage 2004 veröffentlichte – versehen mit den 269 Illustrationen der Originalausgabe von Rockwell Kent, zudem in bibliophiler Ausstattung, nummeriert und im Schuber.
Viele weitere Beispiele wären zu nennen. Dem bibliophilen Bücherfreund treiben einige Werkreihen Freudentränen in die Augen: Ob die vierbändige William S. Burroughs-Edition oder die nicht zuende geführte Werkausgabe Nelson Algrens – beide Reihen wurden gestaltet von Franz Greno, viele Jahre bevor er „Die Andere Bibliothek“ realisierte. Übrigens können die beiden genannten Reihen zusammen mit den Skizzenbüchern von Robert Crumb als dessen gestalterische unf produktionstechnische Blütezeit gelten. Zu nennen wäre darüber hinaus die Werkkomplettausgabe von Boris Vian, mit Titelillustrationen von Art Spiegelman. Unvergesslich auch „Das Leben – Gebrauchsanweisung“ von Georges Perec, geliefert mit beigelegtem Puzzle und Marginalienband in einer Pappschatulle. Oder die vollständige Edition der Werke Max Herrmann Neißes Viele weitere Projekte ließen sich nennen, in denen der Verlag, der ursprünglich mit Undergroundcomix und Tonträgern groß geworden war, literarischen und verlegerischen Wagemut bewiesen hat.
Als letztes Beispiel mag Arno Schmidt taugen. Der 2001-Verlag hielt dem Avantgardisten jahrzehntelang die Stange mit bibliophilen teils unglaublich aufwändig produzierten Bänden wie z.B „Julia“.
Inzwischen ist Lutz Kroth, der für das ambitionierte Verlagsprogramm verantwortlich zeichnete, im Ruhestand. Sein Nachfolger Till Tolkemitt setzt einen anderen Schwerpunkt: Auf Multimedia und DVDs. Da schliesst sich der Kreis: Der Versandhandel hatte von 4 Jahrzehnten damit begonnen, Computer zu verkaufen – was aber nicht von Erfolg gekrönt gewesen war.
In diesem Jahr hat der Verlag als kleine Festschrift ein Taschenbuch zum 40jährigen vorgelegt: „Zweitausendeins. Der Versand. 40 Jahre danach“. Es ist mit 3,90 EUR zwar unverschämt teuer, erfreulicher wären z.B. 99 Cent gewesen und hätten auch zum witzigen Image des Verlages viel besser gepasst. In diesem Büchlein wird von Mathias Bröckers aufs Wesentliche konzentriert herausgearbeitet, was den Verlag ausmacht. Darin enthalten ist auch ein (seltenes) Interview mit Lutz Kroth. Empfehlenswert.
Der Verlag wird sich vermutlich nach dem Ausscheiden Kroths anders ausrichten. Ob die Literatur den Stellenwert vergangener Tage bei 2001 auch zukünftig einnehmen wird, ist zu bezweifeln. Wir werden es sehen. Bis dahin empfehlen wir aber noch aus dem aktuellen Programm „Finnegans Wehg“: Der definitiv unlesbarste Roman, von James Joyce, als Paperback mit 1.256 Seiten für sagenhafte 7,99. Das Werk als Paperback zu publizieren ist auch schon wieder eine dieser guten und witzigen Ideen.
4 Responses to “2001-Verlag: 40 Jahre aus der Reihe tanzen”
[…] ist angeblich unlesbarer. Im Video beweist Joyce selbst, dass es doch geht. Die endoplasmatische Buchempfehlung zum 11. September. Hier […]
[…] gibt auch Gegenbeispiele: Der von uns bereits gelobte Verlag 2001, der seine Bücher über den Verand, eigene Läden und inzwischen über ein Shop-in-Shop-System […]
[…] geworden. Eine nicht komplette, bibliophile Hardcover-Werkausgabe war noch zu seinen Lebzeiten im 2001-Verlag verlegt worden. Sie gehört zu den schönsten Werkreihen, die jemals in Deutschland […]
[…] Autor war wie bereits beschrieben, einer der Hauptprotagonisten der Beat-Literatur. Während Leute wie Jack Kerouac mehr die prollige Anti-Literatur verkörperten oder sich Allen […]